Bayerische Geschichten 25/2020: Das Wunder von Bad Wiessee

Liebe Leserin, lieber Leser,

Adriaan Stoop, Bergbauingenieur, Unternehmer und Inhaber des Jod-Schwefelbads (Foto: Bayerisches Wirtschaftsarchiv)

Bad Wiessee am schönen Tegernsee: Kaum einer, der heute die Uferpromenade Richtung Jod-Schwefelbad entlangschlendert, weiß, dass die Gemeinde ihren Aufstieg vom kleinen Bauerndorf zum florierenden, international bekannten Kurort einem Niederländer verdankt. Adriaan Stoop war Bergbauingenieur, ein Pionier der Erdölindustrie. Schon kurz nach seinem Studium nahm er den herausfordernden Auftrag der niederländischen Regierung an, im heutigen Indonesien (damals Niederländisch-Indien) Wasserquellen zu erschließen, reiste im Anschluss nach Amerika, um dort die  neuesten Methoden für die Suche nach Erdöl zu studieren, und gründete schließlich zusammen mit seinem Bruder eine konkurrenzfähige Ölgesellschaft auf Java. 1904 verschlägt es ihn nach Bayern: Unter der Leitung Stoops beginnt die „Doordtsche Petroleum Maatschappij“ am Tegernsee mit Probebohrungen nach Erdöl, dem „schwarzen Gold“, das schon seit Mitte des 15. Jahrhunderts auf den Wiesen am Westufer gefunden wurde.

1907 wurden am Ufer des Tegernsees die Bohrtürme Nr. 1 bis 6 errichtet. Nr. 5 wurde sogar in den See gebaut (Foto: Museum Tegernseer Tal, „Buch zum 40-jährigen Dienstjubiläum von André Driessen als Badedirektor, 1954“).

Bohrtürme werden am und sogar im Tegernsee errichtet. Der Eifer und die Erwartungen sind hoch – aber die geförderte Menge an Erdöl bleibt überschaubar. Dafür ist der Aufschrei der Einheimischen umso größer. Der bescheidene Fremdenverkehr, der sich in den letzten Jahren etabliert hat, soll nicht weiter durch die Bohrarbeiten gestört, die Idylle des Tals in ungeschmälerter Schönheit erhalten bleiben. Dann kommt der 27. Mai des Jahres 1909: Aus dem Turm der ungeliebten Tiefenbohrung Nr. 3 sprudelt mit einem Mal unfassbar übelriechendes Wasser, der Gestank nach fauligen Eiern zieht um den ganzen Tegernsee. Noch ahnt niemand, dass dieses Wasser dem unscheinbaren Ort Wiessee zu durchschlagendem Erfolg und der ganzen Region Tegernseer Tal zu Wohlstand verhelfen wird – im Gegenteil. Man verklagt die Petroleumsgesellschaft, die mit der „Verunreinigung der gesunden Tegernseer Gebirgsluft“ den Tourismus dem Ruin entgegenführe.

Vom wilden Quell zum Brunnentempel: 1914 wurde die Quelle nach dem amtierenden König Ludwig III. benannt (Foto: Gemeindearchiv Bad Wiessee).

Die Gemüter beruhigen sich etwas, als der Wassersprudel samt seiner intensiven Gasentwicklung auf offizielle Anordnung hin per geschlossener Rohrleitung in den See abgeleitet wird. Die Bohrmannschaften atmen auf, die Quelle wird abgehakt. Nur einer interessiert sich auch nach einem Jahr noch für das seltsame Nass: Der Wiesseer Arzt Erwin von Dessauer veranlasst eine balneologische Untersuchung des Wassers und sorgt dabei für eine Sensation. Es wird festgestellt, dass Adriaan Stoop durch einen glücklichen Zufall die deutschlandweit stärkste Jod-Schwefelquelle gefunden hat. Der geschäftstüchtige Stoop reagiert prompt, stellt die Erdölbohrungen ein und investiert stattdessen in ein Heilbad. Der Besucherandrang ist groß, das erste Badehaus vom Gmunder Architekten Alois Degano muss bald schon erweitert werden, neue Gebäude kommen hinzu. Auch König Ferdinand von Bulgarien kurt mit Genuss in Wiessee. Ob es der letzte bayerische Monarch Ludwig III. jemals bereut hat, vor seiner erzwungenen Abdankung nie ein Bad in der 1914 nach ihm benannten „König-Ludwig III.-Quelle“ genommen zu haben, ist allerdings nicht überliefert.

Klein-Texas in Oberbayern: Der niederländische Bergbauingenieur Adriaan Stoop bohrt zu Beginn des 20. Jahrhunderts an den Ufern des Tegernsees nach Öl – und findet stattdessen die stärkste Jod-Schwefelquelle Deutschlands. 1966 reist erneut ein Niederländer nach Bayern: Der 17-jährige Reinjan Mulder ist tief beeindruckt vom holländischen Kur-Imperium, das mittlerweile in Bad Wiessee entstanden ist. Als gereifter Autor begibt sich Mulder auf Spurensuche, reist erneut an den Tegernsee und legt nun die beeindruckende essayistische Betrachtung eines besonderen Ortes und seiner Persönlichkeiten vor – inklusive historischer Bebilderung.