Bayerische Geschichten 24/2020: Das Ende jüdischen Lebens in Freising

Liebe Leserin, lieber Leser,

Freising, Blick in die Obere Hauptstraße. Das fünfte Haus von links ist das Geschäftshaus Holzer (Foto: Stadtarchiv Freising, Fotosammlung).

eine der ersten jüdischen Familien, die sich in Freising ansiedelten, war die Familie Holzer. Die Brüder Bernhard und Oskar, ursprünglich aus Stein am Kocher in Baden stammend, gründeten in ihrer neuen Heimat das „Warenhaus Gebr. Holzer“ und leiteten es gemeinsam. Beide heirateten, ihre Kinder – Irma und Siegfried, Ilse und Martin – wurden in Freising geboren. Obwohl die Holzers hohes Ansehen in Freising genossen und ihr Geschäft als „allgemein […] sehr anständig und reel“ galt, sahen sie sich schon vor der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten antisemitischer Hetze ausgesetzt. Bereits 1919 hingen in Freising erste Hetzplakate und im Dezember 1922 versammelten sich einige junge Leute nachts vor dem Haus der Familie, um dort ein Lied zu singen, in dem „die Juden als solche verächtlich gemacht und beschimpft“ wurden.

Martin Holzer, 1930 (Foto: Stadtarchiv Freising, Altakten II, 1280, „Auswanderung des Juden Martin Holzer“)

Direkt nach der Machtübernahme begannen die Judenverfolgungen: Jüdische Beamte wurden entlassen, Ärzte und Rechtsanwälte durften ihren Beruf nicht mehr ausüben. Martin Holzers Existenz als Steuer- und Wirtschaftsberater war die erste, die von den Nationalsozialisten vernichtet wurde. Sein Cousin Siegfried hingegen konnte zunächst noch in München als Anwalt weiterpraktizieren, da für ihn als jüdischen „Frontkämpfer“ des Ersten Weltkriegs eine Ausnahmeregelung galt. Angesichts der zunehmenden Verfolgungen beschlossen schließlich beide, das Land zu verlassen: 1938 wanderte Martin nach Palästina, Siegfried nach Frankreich aus. Im selben Jahr erfolgte auch die Arisierung der Firma „Gebrüder Holzer“ – nur über einen Bruchteil des Verkaufserlöses von 91.000 Reichsmark konnte die Familie Holzer frei verfügen.

Freising, Untere Hauptstraße, Colosseum (Foto: Stadtarchiv Freising, Fotosammlung); S. 87 Barackenlager Knorrstraße, Innenansicht (Foto: Stadtarchiv München, Nachlass Meister (DE-1992-FS-NS-00030)

In der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 hetzten auch in Freising Redner in verschiedenen Versammlungssälen die Bevölkerung auf. Oskar Holzer wurde ins KZ-Dachau verschleppt, seine Tochter Ilse von dem aufgebrachten Mob schwer misshandelt. In der Folge wurde die Vertreibung der sich noch in Freising befindlichen jüdischen Einwohner mit aller Macht vorangetrieben. Auch die Familie Holzer verließ die Stadt, die damit „judenfrei“ war. In München lebten die Holzers zunächst noch in eigenen Wohnungen, bis sie 1942 in der „Heimanlage für Juden“ in Berg am Laim bzw. in der „Judensiedlung Milbertshofen“ einquartiert wurden. Von diesem Zeitpunkt an war der Weg in die Vernichtung vorgezeichnet: Bis auf Martin Holzer in Tel Aviv und Siegfried Holzers Frau Hedda in Paris überlebte kein Mitglied der Freisinger Familie den NS-Terror.

Von jüdischem Leben in Freising (und dem Landkreis) kann spätestens ab dem Jahr 1871 gesichert ausgegangen werden. Menschen jüdischen Glaubens siedelten sich hier an und bauten sich Existenzen auf. Schnell wurden sie zu geachteten Mitgliedern der Gesellschaft. Eine Erfolgsgeschichte – bis zur „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Jahr 1933. Vormals angesehene Geschäftsleute sahen sich mit Verfolgung, Enteignung und Vertreibung konfrontiert. Ganze Familien fielen dem NS-Terror in den Vernichtungslagern zum Opfer. Dr. Guido Hoyer legt nun die erste Gesamtdarstellung jüdischen Lebens und seines Untergangs im Landkreis Freising vor und spürt dem individuellen Schicksal der vielen deportierten und ermordeten Freisinger Juden, aber auch der Überlebenden nach.