Bayerische Geschichte(n), 18/2020: Die Saalschlacht von Murnau

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NS-Aufmarsch in den 1930er Jahren, links Rathaus, rechts Gasthaus Kirchmeir (Foto:Schloßmuseum Murnau)
NS-Aufmarsch in den 1930er Jahren, links Rathaus, rechts Gasthaus Kirchmeir (Foto:Schloßmuseum Murnau)

Die Murnauer Saalschlacht ging im Jahr 1931 in die Geschichte ein. Hintergrund war eine geplante Rede des Landtagsfraktionsvorsitzenden der SPD-Ortsgruppe Murnau, Erhard Auer. Die Nationalsozialisten verstanden den Wahlkampf anderer Parteien in ihrem Revier als Kampfansage, die mit Aggression beantwortet werden musste. Otto Engelbrecht, Führer der Murnauer Nationalsozialisten, der nach Auer sprechen sollte, provozierte die anwesenden Reichsbannerangehörigen. Innerhalb kürzester Zeit artete die politische Versammlung in eine Schlägerei aus, bei der es zahlreiche Verletzte auf beiden Seiten gab und die Einrichtung des Wirtshauses beträchtlichen Schaden nahm. In der Folge achteten die Wirtsleute darauf, politische Versammlungen zu vermeiden und stattdessen auf unbedenklichere Gäste zu setzen.

Ankündigung des Vortrags von Erhard Auer im Gasthof Kirchmeir in Murnau (Foto: Staatsarchiv München)
Ankündigung des Vortrags von Erhard Auer im Gasthof Kirchmeir in Murnau (Foto: Staatsarchiv München)

Im April des gleichen Jahres hatte die Saalschlacht ein gerichtliches Nachspiel: Den insgesamt 33 Angeklagten wurde Landfriedensbruch vorgeworfen. Solche Prozesse waren oft wahre Geduldsproben für die Verteidiger, da Angeklagte und Zeugen über denselben Vorgang gleich mehrere Tage lang vernommen wurden. Die Rekonstruktion des Handgemenges war beinahe unmöglich, jeder verteidigte seine Kameraden, die Einzelheiten konnten kaum mehr objektiv festgestellt werden. Unschöne Begleiterscheinung des Murnauer Prozesses waren anonyme Drohbriefe gegen den Gerichtsvorsitzenden, deren Urheber nicht ermittelt werden konnten, zumal die Nationalsozialisten bestritten, dafür verantwortlich zu sein. Die letzten Endes erfolgten Freisprüche wurden in der Presse zwiespältig aufgenommen: Die NS-freundliche Lokalpresse sah in ihnen ein „gerechtes Urteil“, die sozialdemokratische Münchener Post bezeichnete das Ergebnis als „unerhörtes Urteil“.

Familie Horváth vor ihrem Haus in Murnau im Jahr 1925, in der Bildmitte Ödön von Horváth. (Foto: Schloßmuseum Murnau)
Familie Horváth vor ihrem Haus in Murnau im Jahr 1925, in der Bildmitte Ödön von Horváth. (Foto: Schloßmuseum Murnau)

Der Dramatiker Ödön von Horváth, seinerzeit wohnhaft in Murnau, sagte als Zeuge der Saalschlacht im anschließenden Prozess aus und war auch zur Berufungsverhandlung geladen. Er nahm die politischen und menschlichen Irrwege seiner Murnauer Zeitgenossen auf und verwandelte sie mit seinen Theaterstücken und Romanen in Literatur. So verlieh er dem Ort eine bis heute andauernde Allgegenwart auf deutschen Bühnen und in Klassenzimmern. Die besondere Situation in Murnau sorgte für die beinahe prophetische politische Dimension seiner Werke, wie etwa das titelgebende Zitat „Es kommen kalte Zeiten“ aus dem Roman „Jugend ohne Gott“: In Murnau hatte man sich gar nicht erst auf die Republik eingelassen, sondern lebte „in einer Parallelwelt mit den Helden der Vergangenheit und den neuen windigen Charakteren und Verheißungen des aufziehenden Nationalsozialismus“.

Murnau – der kleine Ort im Landkreis Garmisch-Partenkirchen entwickelte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Schauplatz deutscher Geschichte. Die Historikerin Edith Raim berichtet in „Es kommen kalte Zeiten – Murnau 1919-1950“, wie die Bevölkerung des Ortes Revolution, Republik, Diktatur und Besatzungszeit erlebte, weshalb seit 1924 völkische Parteien wie die NSDAP bei den Wahlen hier stets die meisten Stimmen erhielten, aber auch wie sich Widerstand formierte. Eine Vielzahl von schriftlichen Quellen und historisches Fotomaterial dokumentieren das politische, gesellschaftliche und kulturelle Leben in bewegten Zeiten und ermöglichen erstmals einen tiefen Einblick in den Kriegsalltag der Murnauer Bürger.