Bayerische Geschichte(n), 19/2020: Neun Monate, die München veränderten

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Urban Gardening“ als überlebensnotwendige Maßnahme der Nahrungsmittelproduktion: Gartenparzellen auf dem südlichen Teil der Theresienwiese, ca. 1918 (Foto: Stadtarchiv München, FS-HB-II-a-089)

Mitte September 1918, Erster Weltkrieg: Kurz vor dem militärischen Zusammenbruch trifft Bayern eine zweite Welle der sogenannten Spanischen Grippe, die in den folgenden Wochen das Land lähmt und die allgemeine Krisenwahrnehmung verstärkt. Dazu Markus Schmalzl: „Schon im Juli hatte München eine erste Grippewelle heimgesucht. Ab Anfang Oktober musste bei Straßenbahnen und größeren Betrieben die Arbeit erneut eingeschränkt werden. Schulen blieben geschlossen. Am 17. Oktober wurden bereits mehr als 5.000 Volksschüler als grippekrank gemeldet. Ab 25. Oktober blieben auch weiterführende Schulen geschlossen. Insgesamt sollten es Mitte Oktober in München weit über 20.000 Erkrankte sein, wie die Münchner medizinische Wochenschrift mitteilte. Bis zum 4. November wurden 491 Grippetote in der Stadt gezählt.“

Plakat der „Vereinigung zur Bekämpfung des Bolschewismus“, Dezember 1918. Entwurf: Walter Schnackenberg (Foto: Stadtarchiv München, PL-04094)

An besagtem 4. November 1918 treffen sich Tausende von Vertrauensleuten der MSPD (Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands), der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) und der Freien Gewerkschaften im Mathäserbräu, um innerhalb der Arbeiterbewegung eine stärkere Einheit zu verhandeln. Die Fronten bleiben aber trotz der gemeinschaftlich beschlossenen großen Friedenskundgebung am 7. November auf der Theresienwiese bestehen, wie Manfred Peter Heimers schreibt: „Es war keinesfalls so, dass die Mehrheitssozialdemokraten damit ebenfalls den revolutionären Weg Eisners und der USPD verfolgen wollten. Ganz im Gegenteil: Die bayerische MSPD unter ihrem Anführer Erhard Auer, der Eisner zutiefst hasste, war davon überzeugt, die Massen für einen friedlichen Systemwandel hinter sich zu haben.“

Kundgebung auf der Theresienwiese am 7. November 1918 (Foto: Stadtarchiv München, FS-REV-001)

Das Bild ist nahezu ikonisch: Eine riesige Menschenmenge sammelt sich am 7. November unterhalb der Bavaria, strömt zu den Stufen und Hängen der Ruhmeshalle. Ein Teil dieser mindestens 40.000 Demonstranten folgt nach der Kundgebung dem Aufruf von Eisners Sekretär Felix Fechenbach und marschiert zu den innerstädtischen Kasernen, doch es braucht nicht viel, um die dort stationierten Soldaten für den Umsturz zu gewinnen. In kürzester Zeit gibt es in München keine Einheiten mehr, die sich der Revolution in den Weg stellen könnten. Die Monarchie ist abgesetzt, der Freistaat wird ausgerufen – zeitgleich erreicht die Spanische Grippe in Bayern ihren zweiten Höhepunkt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts veränderten neun Monate das Gesicht der Stadt München grundlegend: Von Oktober 1918 bis Juni 1919 forderten Kriegserfahrung, Hungerwinter, Revolution und Räterepublik, das Ende der Monarchie, Demobilmachung, blutige Straßenkämpfe und die Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft den Menschen viel ab. Der demokratische Neuanfang auf kommunaler Ebene verhieß Gutes, wurde aber von besorgniserregenden Vorzeichen der Inflation, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise begleitet. Monat für Monat erzählen Experten in neun reich bebilderten Kapiteln von den miteinander verwobenen Ereignissen und Zäsuren dieser Zeit.