Münchner Geschichte(n), 12/2013: Enklaven bayerischer Trinkkultur

Nicht nur sein Buch, auch er selbst ist ein Kunstwerk: Boazn-Tester Maximilian Bildhauer im Einsatz.
Nicht nur sein Buch, auch er selbst ist ein Kunstwerk: Boazn-Tester Maximilian Bildhauer im Einsatz.

Liebe Leserin, lieber Leser,

die beiden Münchner Stadtteile Sendling und Giesing liegen einander direkt gegenüber, die Isar und ein kleines Stück Thalkirchen bilden die natürliche Grenze. Der gebürtige Untergiesinger Maximilian Bildhauer erforschte im vergangenen Jahr die Boazn und Stehausschänke in seinem Heimatviertel. Von seinem Großvater weiß er, dass sich früher die Halbstarken von diesseits und jenseits der Isar „mit aus Taschentüchern und Kieselsteinen selbstgebastelten Totschlägern gegenseitig die Schädel eingeschlagen haben“. Ihn selbst empfing als „Giesinger Botschafter“ im heutigen Sendling zwar keine rohe Gewalt mehr, aber doch eine deutliche Ablehnung gegenüber allem, was von der anderen Isarseite kommt.

Die „Nachtschicht“ mit ihrem „anheimelnden Fernfahrer-Chic“ ist eine Boazn ganz nach Bildhauers Geschmack.
Die „Nachtschicht“ mit ihrem „anheimelnden Fernfahrer-Chic“ ist eine Boazn ganz nach Bildhauers Geschmack.

Mit dem Fußball fängt es schon an: Während man rechts der Isar und in Giesing sowieso traditionell den TSV 1860 hochhält, ist Sendling „in Sachen Fußball sehr rot eingefärbt“, wie der Sechzger-Fan Bildhauer feststellen musste, „zumindest wenn man nach den Aufklebern an den Ampelmasten und den Dekorationen in den Kneipen gehen kann“. Dennoch entdeckte er in einer der 37 Boazn, die er auf seiner Sendling-Tour testete, als „besonderes Schmuckstück hinter der Theke neben der Wirtin die große Flagge des TSV 1860 München“ – das war übrigens in der Kneipe, die „Nachtschicht“ heißt, „damit Gäste, die von ihren Frauen angerufen werden, reinen Gewissens behaupten können, sie seien noch in der Nachtschicht.“

Zu den Spezialitäten, die Fiko, der Wirt der „Sendlinger Bierspritz’n“, serviert, gehört nicht nur ein gutes Schnitzel, sondern auch ein hausgemachter „Slivo“.
Zu den Spezialitäten, die Fiko, der Wirt der „Sendlinger Bierspritz’n“, serviert, gehört nicht nur ein gutes Schnitzel, sondern auch ein hausgemachter „Slivo“.

Das freilich waren bei Weitem nicht die einzigen Kuriositäten, die der junge Grafikdesigner und Boazn-Tester bei der Feldforschung in den „letzten Enklaven bayerischer Trinkkultur“ zwischen Schlachthof, Heizkraftwerk, Großmarkthalle und Kleingartenanlagen entdeckte: In der Implerstraße lernte er „Bei Tina“ das „Frauengetränk Negersperma“ kennen: Batida de Coco in einem Cognacgläschen. In der „Sendlinger Bierspritz’n“ fand er „die vermutlich abgedrehteste Zapfanlage der Stadt, montiert an einer sich um ca. elf Ecken windenden Theke“. Und im „Amadeus Bierstüberl“ legte ein Gast Wert auf die Feststellung: „I bin a Sendlinga, koa Grattla!“

Maximilian Bildhauers ungewöhnliche Kneipenführer „Munich Boazn“ sind längst Kult: Sie sind Milieustudie, Mahnmal gegen die Gentrifizierung und sozialromantische Liebeserklärung an das alte München. Nach dem ersten Band über Giesing, widmet sich der zweite Band den Stehausschänken und Eckkneipen im Stadtteil Sendling.