Bayerische Geschichte(n), 31/2015: Von Kersch und Keschn

Die Beziehung des Bayern zum Tod ist im Normalfall eine pragmatische. Dazu passt der personifizierte Sensenmann als Boandlkramer, also  Knochenhändler – auch wenn er sicherlich eher selten mit Bauchladen anzutreffen ist. (Illustrationen: Matthias Gwinner)
Die Beziehung des Bayern zum Tod ist im Normalfall eine pragmatische. Dazu passt der personifizierte Sensenmann als Boandlkramer, also Knochenhändler – auch wenn er sicherlich eher selten mit Bauchladen anzutreffen ist. (Illustrationen: Matthias Gwinner)

Liebe Leserin, lieber Leser,

was einen echten Bayern ausmacht, wusste schon der Schriftsteller Franz von Kobell, der 1871 mit seiner wohl berühmtesten Figur, dem Brandner Kasper, geradezu ein Paradebeispiel für ein gestandenes bayerisches Mannsbild ersonnen hat: Ein „fleißiger braver Mo‘ (…) und lusti‘ und schneidi’“ ist der Brandner Kasper, „g’forcht’n hat er ihm vor gar nix“ und dazu ist er noch ein großer Freund der Jagd. Vor allem aber verfügt er über einen gewitzten Verstand, den er mit einem gerüttelt Maß an Hinterlist und bemerkenswerter Schlitzohrigkeit einzusetzen weiß. Im Bairischen nennt man so ein ausgefuchstes Exemplar Mann wohlwollend Bazi und schaut besser zweimal hin, wenn einer dieser Gauner seine Finger im Spiel hat. Ein Rat, der für den Boandlkramer, den Gegenspieler vom Brandner Kasper in Kobells Geschichte, zu spät kommt.

Nur zwei Buchstaben machen im Bairischen den Unterschied zwischen Kersch und Keschn. Im Jahresverlauf kommen sie sich saisonal aber nicht in die Quere: Erstere versüßen den Sommer, während Letztere zur Winterzeit als geröstete Maroni heißbegehrt sind.
Nur zwei Buchstaben machen im Bairischen den Unterschied zwischen Kersch und Keschn. Im Jahresverlauf kommen sie sich saisonal aber nicht in die Quere: Erstere versüßen den Sommer, während Letztere zur Winterzeit als geröstete Maroni heißbegehrt sind.

Als der knochendürre, hohläugige und allgemein recht klapprige Boandlkramer – der personifizierte Tod, der im Bairischen als Händler sein Geschäft mit Knochen betreibt – vor der Tür des Brandner Kaspers steht, fühlt der sich mit seinen 75 Lenzen noch um einiges zu jung zum Sterben. 15 weitere Jahre will er sich vom Sensenmann bewilligen lassen, doch der bleibt stur. Da greift der Brandner Kasper zum Kerschgeist und beweist, dass er neben der Listigkeit noch über eine weitere bayerische Tugend verfügt: die Trinkfestigkeit. Kersch nennt man in Bayern die Kirschen, die in ihrer flüssig-alkoholischen Form dem Boandlkramer zum Verhängnis werden. Nicht zu verwechseln sind die Kersch mit den Keschn, den Kastanien, aus denen man durchaus auch Hochprozentiges brennen kann. Es ist allerdings nicht garantiert, dass ein solcher Likör den Sensenmann ebenso erfolgreich verlockt und schließlich benebelt hätte wie das gehaltvolle Kirschwasser.

Das Fingerhackln ist ein klassisch bayerischer Wettkampf, bei dem sich die beiden Kontrahenten an einem (Wirtshaus-) Tisch gegenübersitzen, ihre Mittelfinger ineinander bzw. mithilfe eines kurzen Lederriemens miteinander verhaken und versuchen, den Gegner mit Einsatz von Kraft und Technik über den Tisch zu ziehen.
Das Fingerhackln ist ein klassisch bayerischer Wettkampf, bei dem sich die beiden Kontrahenten an einem (Wirtshaus-) Tisch gegenübersitzen, ihre Mittelfinger ineinander bzw. mithilfe eines kurzen Lederriemens miteinander verhaken und versuchen, den Gegner mit Einsatz von Kraft und Technik über den Tisch zu ziehen.

Einen Dampf, eine Häpfa, einen Preller – also einen ordentlichen Rausch – hat der Boandlkramer nach einigen Gläsern Kerschgeist beinander. Dermaßen erheitert stimmt er einem Spiel um die Lebensjahre des Brandner Kaspers zu, lässt sich von diesem gnadenlos übers Ohr hauen und verliert. Der glückliche Gewinner offenbart dabei genau wie der unterlegene Sensenmann noch einen urbayerischen Wesenszug: Wer ein echter Bayer ist, verfügt über eine gewisse Affinität zum spielerischen Wettkampf. Ein hoher Einsatz macht das Ganze vor allem beim Kartenspiel umso interessanter und sportlicher Ehrgeiz ist absolut unabdingbar. Bevorzugt lässt der männliche Bayer seiner Lust am Spiel im Wirtshaus freien Lauf, wo man die Herausforderung noch durch den Genuss einiger Mass Bier steigern kann. Aber Obacht: Während ein kleines Dampfe beim Karteln nur zur Erleichterung der Geldbörse führen kann, drohen z.B. beim ebenso beliebten Fingerhackln schlimm geschundene Mittelfinger.

Dem Boandlkramer, dem Kerschgeist und allen weiteren Schätzen des alten, teils schon fast vergessenen bairischen Sprachguts ist Johann Rottmeir in „Bazi, Blunzn, Breznsoizer“ auf der Spur. Unkompliziert und humorvoll, lebensnah und mit echtem Gebrauchswert erklärt er in seinem Wörterbuch die Eigenheiten des Bairischen von A bis Z – begleitet von sakrisch guatn Illustrationen.