Bayerische Geschichten 22/2022: Die Münchner Galilei

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Und sie bewegt sich doch!“ – ist der bekannteste Satz des italienischen Universalgelehrten Galileo Galilei (1564 – 1642), mit dem er gegen das Weltbild seiner Epoche ankämpfte. Kaum bekannt dagegen ist, dass ein Zweig von Galileos Familie im 17. Jahrhundert in Deutschland lebte. Genauer gesagt in München, am Hof der Wittelsbacher: Alois Schmid, Geschichtsprofessor a.D. und versierter Autor, lässt seine Erzählung über „Die Münchner Galilei“ bei Vincenzo beginnen, der auf einer bayerischen Reise wichtige Kontakte knüpfte. Er berichtet vom musikalischen Wunderkind Michelangelo – dem Bruder Galileos –, und dem tragischen Ende der Münchner Linie im Jahr 1694. Drei Galilei-Generationen und die Zeit, in der sie lebten, werden erstmals wieder lebendig und beleuchten den breiten Kulturtransfer zwischen Italien und Bayern in Renaissance und Barock.

Oben: Hans Haidens Nürnbergische Geigen-Clavicymbel (Foto: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung Merkel‘sche Familienstiftung)

Vincenzo Galilei, der Vater von Michelangelo und Galileo – des berühmten Naturforschers –, war der erste, der sich auf einer Reise mit der Stadt München vertraut machte. Er hatte sich in Venedig auf der Laute, der „Königin der Instrumente“, ausbilden lassen und war als Musiklehrer in Pisa, Florenz und Rom tätig. Eine besondere Rarität führte ihn über die Alpen in die herzogliche Residenzstadt: Das in München ausgestellte „Streichklavier“ des Nürnberger Mechanikermeisters Hans Haiden verband auf innovative Weise die Eigenschaften eines Tasten- und eines Streichinstruments. Vincenzo durfte sich sogar selbst auf dem „Geigen-Clavicymbel“ versuchen, eine besondere Auszeichnung und für ihn der Höhepunkt seiner Reise.

 

Die Unterschrift Vincenzo Galileis, 21. Mai 1631 (Foto: Biblioteca Nazionale Centrale Firenze)

Michelangelo Galilei fand nicht nur eine Anstellung in der wittelsbachischen Hofkapelle, er vererbte sein musikalisches Talent auch an seine neun Kinder. Sein Ältester, der 1610 geborene Vincenzo, zeigte früh eine solch außergewöhnliche Begabung, dass er als Jugendlicher ein Stipendium von Kurfürst Maximilian I. persönlich erhielt. Der vielversprechende Lautenspieler wurde zur weiteren Ausbildung in die Weltstadt Rom geschickt. Eine fatale Reise für den jungen Lebemann, der angesichts der ungewohnten Freiheiten schnell alle Pflichten vergaß: Vincenzo warf mit Geld um sich, verbrachte seine Zeit in geselliger Runde bei Speis‘ und Trank und brach zuletzt sogar mit Familie und Förderern. Seine Spur verliert sich 1636 in Polen, wo er wohl als Hoflautenist tätig war.

 

Die Grabplatte Franz Nestors findet sich an der südlichen Außenmauer der Domkirche Zu Unserer Lieben Frau in München.
(Foto: Jeannine Moreth)

Franz Nestor Galilei, ein Großneffe des berühmten Astronomen Galileo, war von Geburt an taubstumm. Eine Fortsetzung des musikalischen Erbes seiner Familie war somit ausgeschlossen – Franz Nestor widmete sich stattdessen der Malerei. Dass er zeitlebens Junggeselle blieb, stellte seine gealterten Eltern vor ein Problem: Wer sollte sich um den gehörlosen Sohn kümmern, wenn sie es nicht mehr konnten? Die Zisterzienser zu Fürstenfeld schienen eine gute Lösung zu sein. Die Eltern gaben sowohl ihren Besitz als auch die Pflege Franz Nestors nach ihrem Tod in die Hände der Patres. Kaum ein Jahr nach der Verbriefung des Erbes verstarb der letzte der Münchner Galilei jedoch im Kloster, im Alter von 54 Jahren.