Bayerische Geschichte(n), 2/2019: Von Steinkäuzen, Totenuhren und Nachzehrern

Für den Bayer des 15. Jahrhunderts war der weitere, kurze Lebensweg zumeist vorgezeichnet: Die durchschnittliche Lebenserwartung betrug nur 35 Jahre (Illustrationen: Peter Engel).

Liebe Leserin, lieber Leser,

nach dem schrecklichen 14. Jahrhundert, in dem Epidemien und Hungersnöte die bayerischen Lande versehrt hatten, brachte es der Durchschnittsbayer nur auf eine Lebenserwartung von knapp 35 Jahren. Da war es gut, dass man auf ein scheinbar ausgeklügeltes Frühwarnsystem zurückgreifen konnte, das vor allem aus Naturphänomenen bestand, die man nur richtig deuten musste. So war zum Beispiel der Steinkauz als großer Unglücks- und Todesvogel verschrien. Sein Ruf – ein „Kuwit“, das wie „Komm mit“ klang und ihm den Namen „Kommmitchen“ einbrachte – sorgte für Schrecken, kündigte er doch den baldigen Tod an. Aber auch die Fressgeräusche des Holzwurms, die wie ein Ticken klangen, bedeuteten nichts Gutes. Ehrfürchtig nannte man das winzige Insekt darum auch „Totenuhr“.

Die Aufgabe der Angehörigen war es, den Verstorbenen gut unter die Erde zu bringen und dabei möglichst keine Fehler zu machen.

Konnte man dem Tod trotz der erhaltenen Warnungen nicht noch etwas Zeit abtrotzen und ging es nun ans Sterben, waren jetzt vor allem die Angehörigen gefragt. Eine Vielzahl an Ritualen musste strengstens befolgt werden, wollte man sichergehen, dass der Verstorbene auch den Weg ins Jenseits fand und nicht als ruheloser Geist wiederkehrte. So mussten im Moment des Todes alle Uhrenpendel angehalten werden, damit die gerade ausgefahrene Seele nicht durch die Zeiger aufgehalten wird. Rasch wurden auch die Spiegel verhängt, um zu verhindern, dass die verstorbene Person von ihrem eigenen Spiegelbild gebannt wird und das Haus nicht mehr verlassen kann. Und wurde der Leichnam schließlich nach drei Tagen aus dem Haus getragen, so durfte dies nur mit den Füßen voran geschehen.

Der Weg ins Jenseits konnte steinig und beschwerlich sein. Die Gemeinschaft musste den Verstorbenen mit Gebeten und Messen bei seiner Reise unterstützen.

Falls es bei diesen Ritualen zu Nachlässigkeiten kam, brauchten sich die Hinterbliebenen nicht zu wundern, wenn sie es mit einem gefürchteten Wiedergänger zu tun bekamen. Ein besonders übler Vertreter einer ans Diesseits gefesselten Seele war der sogenannte Nachzehrer, bei dem man vergessen hatte, die Augen und den im Todeskampf aufgerissenen Mund zu schließen. Auf diese Weise war es dem Toten möglich, aus seinem Grab nach einem Opfer zu rufen, das kurz darauf verrückt wurde und starb. War der Nachzehrer damit nicht erfolgreich, so nahm dieser mit seinen bösen, offenen Augen Kontakt zu ausgewählten Lebenden auf. Während der Tote im Grab sein Totenhemd oder Leichentuch aß, starb draußen das Opfer aufgrund der bestehenden telepathischen Verbindung den Hungertod oder wurde von der Pest dahingerafft.

Pragmatisch, unerschrocken, fast schon humorvoll und manchmal geradezu rebellisch – das Verhältnis der Bayern zum Sterben und zum Tod war schon immer besonders. Peter Dermühl nimmt seine Leser mit auf eine Reise in die Vergangenheit, in der die „Seelweiber“ die Toten für den letzten Weg herrichteten und ein gestandener Bayer mit dem Boandlkramer noch um Aufschub karteln konnte.