Bayerische Geschichten 12/2022: Unbekannte Judenhelfer

Liebe Leserin, lieber Leser,

die meisten wissen, dass die Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus verfolgt wurden, auch wenn die Gründe dafür nicht allen bekannt sind. Diese und wie menschlich sich die Zeugen Jehovas angesichts der Judenverfolgung verhielten, beschreibt das Buch „Die unbekannten Judenhelfer. Wie Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus jüdischen Mitmenschen beistanden“. Christoph Wilker, der seit vielen Jahren Forschungs- und Gedenkprojekte zur NS-Zeit mit Schwerpunkt Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas begleitet, schließt damit eine Forschungslücke. Denn die Einstellung und das Verhalten der Zeugen Jehovas während des Dritten Reiches gegenüber der jüdischen Bevölkerung wurde bis jetzt kaum thematisiert. Diese Geschichten — begleitet von zahlreichen historischen Abbildungen und Dokumenten – beleuchten eine zu Unrecht vergessene Seite des zivilen Widerstands.

„Die […] Zeugen Jehovas wurden trotz ihrer geringen Zahl als besonders gefährlich eingestuft, in den KZ mit dem Lila Winkel stigmatisiert.“(Foto:wikipedia)
Obwohl sie selbst verfolgt wurden, halfen die Brüder Jan und Stefan Ciechanowski ihren jüdischen Nachbarn so viel wie möglich. 1942 wandte sich Hanna Pas an die Brüder und bat sie, ihre dreijährige Tochter Ewa zu retten und sie dazu in ihr Haus aufzunehmen. Ewas Vater Józef Pas war ein Lieferant der Werkstatt der Brüder, die dort Waagen produzierten. Ohne zu zögern, stimmten die beiden Zeugen Jehovas zu. Mehrmals übten die Nachbarn Druck auf sie aus, es den Deutschen zu übergeben. Doch sie lehnten das ab. Nach dem Krieg kamen die Eltern von Ewa, die ihre Haft in den Konzentrationslagern überlebt hatten, zurück. Hanna und Józef Pas waren überglücklich, ihre inzwischen sechsjährige Tochter gesund und munter von ihren Rettern zurückzuerhalten. Am 22. Februar 2004 erkannte Yad Vashem Jan und Stefan Ciechanowski als Gerechte unter den Völkern an.

Gedenkstele in Frankfurt für den Bäcker Martin Bertram
(Foto: Christoph Wilker)

Als der Frankfurter Bäckermeister Martin Bertram 1933 (1896-1988) von den Nationalsozialisten aufgefordert wurde, seine Bäckerei als „Deutsches Geschäft“ zu kennzeichnen, weigerte er sich. Denn das hätte für Juden bedeutet, dort nicht mehr einkaufen zu können. Am 26. September 1936 wurde er verhaftet und wegen Missachtung des Verbots der Bibelforscher-Vereinigung zu einer Gefängnisstrafe von sieben Monaten verurteilt. Nach der Haft wurde er zunächst in das Konzentrationslager Lichtenburg und am 30. Juli 1937 ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Nach mehr als achteinhalb Jahren Haft wurde Martin Bertram im April 1945 aus dem KZ Buchenwald befreit. Die dort erlittenen Misshandlungen in Form von Fußtritten und Stockschlägen verursachten bis an sein Lebensende chronische Kopfschmerzen.

Hermanna Kamp-Schut im Konzentrationslager Auschwitz, 1942
(Foto: I-Arch-BBW.525.3924.2020, Archivum, Auschwitz-Birkenau State Museum)

Auch Hermanna Kamp-Schut versuchte, ihren Mithäftlingen im KZ Auschwitz zu helfen. Die holländische Zeugin Jehovas (geboren am 20.10.1901) wurde am 22.8.1941 inhaftiert und zuerst ins KZ Ravensbrück, später nach Ausschwitz deportiert. Sie gab einem ebenfalls inhaftierten jüdischen Sänger regelmäßig Brot. Das hinterließ bei dem Mitgefangenen eine so nachhaltige Wirkung, dass seine Ehefrau nach der Befreiung fünf Jahre lang nach der Zeugin Jehovas suchte, bis sie sich bei ihr bedanken konnte. Insgesamt war Hermanna Kamp-Schut dreieinhalb Jahre inhaftiert, die Befreiung erlebte sie im KZ Bergen-Belsen. Sie verstarb am 8. November 1994.