Bayerische Geschichte(n), 12/2020: „Meine lieben Bayern haben’s gut gemacht“

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Meine lieben Bayern haben’s gut gemacht“, schreibt Gustav Landauer, als er im November 1918 von der Ausrufung des Freistaats Bayern erfährt. Ohne Zögern folgt er dem Ruf seines Freundes Kurt Eisner, des ersten bayerischen Ministerpräsidenten, nach München und wird zu einer der Leitfiguren der Revolution und Rätezeit. – Das Leben Landauers, des Schriftstellers, Publizisten, Kulturphilosophen und Politikers, war übervoll an Ereignissen, die Geschichte geschrieben haben. Nun widmet sich die erste Biografie auch dem Mann hinter den großen Schriften und legendären Vorträgen. Rita Steininger erzählt klug und versiert von seiner Kindheit und Jugend, vom Engagement in der Arbeiterbewegung, von Heirat und Vaterschaft, Not, Verfolgung und Inhaftierung, vom Kampf des unbeugsamen Pazifisten gegen den Ersten Weltkrieg, aber auch vom privaten Glück eines Freigeists, der seiner Zeit weit voraus war.

Der junge Landauer: Das Studium führte ihn nach Heidelberg, Straßburg und Berlin.

Am 7. April 2020 ist die Biografie von Gustav Landauer erschienen – der fünfte und neueste Band der kulturhistorischen Reihe „Vergessenes Bayern“ kam somit pünktlich zum 150. Geburtstag des beeindruckenden Kämpfers für Freiheit und Menschlichkeit. Landauer war gebürtiger Karlsruher, sein Elternhaus zählte zum wohlhabenden Bürgertum und der Lebensweg des kleinen Gustav schien vorgezeichnet: In den Fußstapfen des strengen Vaters sollte aus dem Jungen ein anständiger Geschäftsmann werden. Dem konnte der intelligente, literaturverliebte Querkopf nun rein gar nichts abgewinnen. Kaum dass er 1888 sein Abitur in der Tasche hatte, flüchtete sich der frischgebackene Student Landauer nach Heidelberg, die Studienfächer Englische Sprach- und Literaturwissenschaft und Philosophie hatte er dem Vater zuvor mühsam abgerungen. Heimisch wurde er in der altehrwürdigen Universitätsstadt aber nicht für lange – ob es an der mangelnden Distanz zur Familie in Karlsruhe lag? Die Metropole Berlin lockte Landauer schon ein halbes Jahr später mit der großen Freiheit des Lebens und Denkens in den Norden.

Mitglieder des Friedrichshagener Dichterkreises bei einem Ausflug 1898: ganz links Wilhelm Bölsche, neben ihm Bruno Wille mit einer Handpuppe, daneben auf der Bank sitzend Gustav Landauer (International Institute of Social History, Amsterdam)

 

 

So gewann die Philosophische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1889 einen neuen Studenten – und die Reichshauptstadt einen weiteren Mieter, der ein Zimmer in der „Spandauer Vorstadt“, nicht weit entfernt von den Arbeitervierteln der Altstadt, bezog. Die Wohnungsnot in den Großstädten hatte da im Zuge der Industrialisierung und Landflucht bereits dramatische Ausmaße angenommen. Die Menschen drängten sich in qualvoller Enge, geschlafen wurde in Schichten und Kinder wuchsen im Schatten der Fabrikmauern auf, ohne je einen Baum gesehen zu haben. Die Verelendung der Menschen täglich vor Augen wandte sich Landauer 1892 endgültig von seiner bürgerlichen Herkunft ab und der Arbeiterbewegung zu. Auch ein eingeschobenes Semester an der Straßburger Universität konnte ihn nicht mehr umstimmen: Der Theorie des Studiums war er überdrüssig, er musste aktiv werden und mit seinen Talenten gegen die sozialen Missstände und staatliche Willkür ankämpfen. Landauer engagierte sich im „Verein unabhängiger Sozialisten“, schrieb für dessen Organ „Vorwärts“ und suchte den Kontakt zu linken Vordenkern und Publizisten wie Fritz Mauthner.

Eines der seltenen privaten Fotos von Gustav Landauer: 1913 besuchte er mit seiner Familie Fritz Mauthner am Bodensee. V.l.n.r: Mauthner, Landauers Tochter Charlotte aus erster Ehe, sitzend Hedwig Lachmann, ihre und Landauers jüngere Tochter Brigitte, Landauer u. der Schriftsteller Emanuel von Bodman. (Stadtarchiv Meersburg)

Schnell machte sich Landauer einen Namen – und erntete die Konsequenzen seines politischen Engagements. „Mangels sittlicher Befähigung“ wurde er von sämtlichen preußischen Universitäten ausgeschlossen, dafür nahm ihn die Politische Polizei ins Visier. Landauer ließ sich davon nur anspornen: Er hielt Vorträge, veröffentlichte in Mauthners „Magazin für Litteratur“ und schloss sich dem Friedrichshagener Dichterkreis an, den „Literaturrevolutionären des jungen Deutschlands“ um die Schriftsteller Bruno Wille und Wilhelm Bölsche, die eine neue Gesellschaft auf der Grundlage sozialistischer Werte anstrebten. Mitten in dieser Phase des atemlosen Schaffens traf Landauer 1899 auf die Dichterin Hedwig Lachmann, die Liebe seines Lebens und das Band, das ihn schon bald mit seiner Wahlheimat Bayern verknüpfen sollte. Zuvor aber musste Landauer eine Haftstrafe wegen „verleumderischer Beleidigung der Staatsgewalt“ antreten. Im Strafgefängnis Tegel entstanden binnen sechs einsamer Monate ein Werk über „Meister Eckharts mystische Schriften“ und, an Hedwig Lachmann adressiert, einige der schönsten Liebesbriefe der jüngeren deutschen Literatur.