Bayerische Geschichte(n), 11/2020: Zeit für Traditionen

Liebe Leserin, lieber Leser,

welcher Osterbrauch liegt Ihnen am meisten am Herzen? Welche alte Familientradition muss in diesem Jahr kreativ neu aufgelegt werden? Feste, Brauchtum und lieb gewonnene Traditionen leben von der Gemeinschaft – die beste Alternative in der Zeit des Verzichts auf Nähe und gemeinsame Unternehmungen möchten wir mit unseren Lesetipps liefern: Natürlich belassen wir es dabei nicht bei Osterbrunnen, die von Buchseiten leuchten – wir öffnen für Sie die Schatzkiste des gesamten bayerischen Brauchtums in all seinen Facetten.

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Das bayerische Lebensgefühl wird seit Jahrhunderten von Osterfeuern, Kirchweih und Erntedank geprägt, von Pferdeumritten, Kräuterweihen, Wallfahrten und Trachtenumzügen. Die Walpurgisnacht zieht die wilden Freigeister an, das Wetterläuten soll Haus und Hof vor aufziehendem Gewitter schützen und bald steht der schöne Marienmonat Mai wieder ganz im Zeichen der Patrona Bavariae. Kompakt und lebensnah führt das bibliophile Büchlein von Brauchtums-Experte Karl Baum durch den Jahreskreis bayerischer Feste und überlieferter Traditionen – vom Neujahrsgruß über das Osterfest bis zur bäuerlichen Weihnacht. Erzählt wird von vertrauten Ritualen, aber auch von den vielen Feiertagen, die das alte Bauernjahr noch kannte und die heute fast vergessen sind.

Was wäre das Leben ohne Festtage? Quer durch die Menschheitsgeschichte war das gemeinsame Feiern das Ziel des Arbeitens und Lebens, ja das Leben schlechthin – man denke nur daran, dass sich schon im alten Rom für religiöse Feste eigens arbeitsfrei genommen wurde. Und was bleibt uns in der Isolation? Die Vorfreude auf das unweigerliche Wiederaufblühen der bayerischen Feierkultur in ihrer ganzen Vielfalt: „Bayern genießen: Feste“ ist nicht nur ein Schnäppchen für den kleinsten Geldbeutel, der handliche Schmöker versammelt auch alle traditionellen, noch unverfälschten bayerischen Feste zwischen Alpenrand und Rhön. Spannend lesen sich die historischen Hintergründe des Brauchtums vom Aperschnalzen im Rupertiwinkel über die Funkenfeuer im Allgäu bis zur alljährlich zelebrierten „Welt-Umbsegelung“ in Pappenheim, während man mit den kompakten Informationen zu Veranstaltungsort und Anreise schon den Kalender 2021 verplanen kann.

Die gute alte Zeit gibt es nicht mehr. Vielleicht hat es sie auch nie gegeben, denn sie war vor allem eine Zeit schwerer Arbeit und harter Lebensbedingungen. Der Kreislauf der Natur, die P­flichten auf dem Feld, im Garten und im Haus bestimmten den Alltag der Menschen ebenso wie das Brauchtum und die Kirchenfeste im Jahreslauf. Die erfahrene Autorin und Dokumentarfilmerin Steffi Kammermeier schildert in ihrem sehr persönlichen, reich bebilderten Buch ein Jahr im einstigen Bauernleben und erzählt statt der großen Zeitgeschichte die Details einer vergangenen Welt: das Für- und Miteinander auf den Höfen, die Versorgung einer großen Hofgemeinschaft mit mehreren Generationen und Gesinde unter einem Dach. Nicht zuletzt sind es die 48 Originalrezepte der alten Landküche – süß und salzig –, die dieses Buch zu einer Liebeserklärung an die „gute alte Zeit“ machen.

Die oberfränkische Tracht hat sich im Lauf der Jahrhunderte gewandelt, sogar modernisiert, und ist doch in ihrer ganzen Opulenz, Farbenpracht und Vielfalt bis heute fester Teil der Kultur und des gelebten Brauchtums geblieben. Historische und zeitgemäß überarbeitete Modelle werden bei festlichen Gelegenheiten gern ausgeführt – am besten lassen sich die Stücke aber in unserem Bildband bewundern. Walther Appelt, Fotograf und selbst Sammler historischer Trachten, hat die schönsten Gewänder in kraftvollen, brillanten Bildern in Szene gesetzt. Neben Details und Besonderheiten der verschiedenen Trachten, wie dem Kopftuch oder der Brautkrone, gliedern die Regionen Oberfrankens das Buch – das Bamberger Land, die Fränkische Schweiz, Effeltrich und Hausen, der Hummelgau, Sachsen-Coburg oder das Hofer Land. Birgit Jauernig, Trachtenberaterin des Bezirks Oberfranken, verrät dazu in kurzen Texten, wie sich die Geschichte der Region an den historischen Kleidungsstücken ablesen lässt.

Dass Brauchtum etwas Lebendiges ist, sich immer wieder neu erfindet, beweist das Theaterprojekt der Familie Ringsgwandl im Chiemgau. Volkstheater hat in Bayern nämlich eine lange Tradition – die das vogelwilde Bühnen-Unikat der Ringsgwandls gehörig aufmischt. Im August 2006 feierte das erste selbstgeschriebene Stück von Elfriede Ringsgwandl noch vor zwei Dutzend Zuschauern Premiere, heute ist ihr Theaterzelt mit festem Standort in Riedering am Simssee bayerischer Theaterkult und jeden Sommer bis auf den letzten Platz ausgebucht. 2018 gab es den verdienten Oberbayerischen Kulturpreis und Chefin Elfriede bekräftige das Motto ihres ganzen Theater-Clans: „Wir spielen, bis keiner mehr kommt!“ Dass die für dieses Jahr geplante Uraufführung des fünften Stücks ohne viel Federlesens, dafür mit unerschütterlichem Optimismus auf den Sommer 2021 verschoben wurde, gehört zur ansteckenden Lebensfreude, mit der am Simssee Theater gemacht wird. Bis dahin gibt es für die tausenden Fans und alle, die es werden wollen, die Geschichte der Familie Ringsgwandl und ihrer außergewöhnlichen Bühne als bildgewaltiges Lesebuch.

Gehört Literatur zum bayerischen Brauchtum dazu? Die Mitglieder der illustren Schriftstellervereinigung Münchner Turmschreiber beantworten diese Frage Jahr für Jahr mit ihrer Anthologie „Geschichten, Gedanken, Gedichte. Das bayerische Hausbuch“ und einem kräftigen „Ja“. Schließlich existieren die Turmschreiber schon seit 1959 und haben es sich zur Aufgabe gemacht, dem Freistaat mit der ganzen Vielfalt ihrer schriftstellerischen Arbeit ein Denkmal zu setzen. Seit 1983 entsteht aus den Höhepunkten des Schaffens aller aktiven Turmschreiber jährlich ein Buch. Gedichte, Essays, Sketche, Kurzgeschichten, Romanauszüge, Historisches … auch der aktuelle 38. Jahrgang des Hausbuchs ist prall gefüllt mit Geschichten darüber, wie die Nibelungen durch Bayern zogen, die Fugger sich am Gattenmord versuchten, Dr. med. Braumoasta den Bügelverschluss erfand oder so ein Mundart-Dackel artgerecht erzogen wird. Es wird dem Wolpertinger gehuldigt, ein katholischer Heiliger wird aus der Taufe gehoben, alte bayerische Märchen bekommen einen neoliberalen Anstrich und neugierige Nachbarn ihr Fett weg – ein üppiges Lesebuch vom Feinsten.