Bayerische Geschichten 09/2023: Magie und Aberglaube im alten Nürnberg

Liebe Leserin, lieber Leser,

Bayern-Reiseführer gibt es viele – aber nur eine Mini-Reihe: Der druckfrische Stadtführer „Mystisches Nürnberg. Spaziergänge zu sagenhaften und wundervollen Orten“ ist der neueste große Wurf unserer Autorin Susanne Herleth-Krentz. Die Historikerin und Stadtführerin lädt zu einer Zeitreise ins mittelalterliche Nürnberg ein und erzählt dabei von Spuk und Aberglaube zwischen Kaiserburg, Heilig-Geist-Spital und Henkersteg. Alles, wie gehabt, im handlichen und wetterfesten Format für Rucksack oder Hosentasche, mit sämtlichen bekannten Sehenswürdigkeiten, aktuellen Hotspots und den besten Einkehrtipps.

Der Sinnwellturm in der Kaiserburg (Bild: Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung)

Nürnberg ist bekannt als Heimat von Albrecht Dürer, des alljährlichen Christkindlesmarkts und der berühmten Nürnberger Bratwurst. Kunst, Kulinarik und gemeinsames Feiern – kein Wunder, dass die mittelfränkische Metropole ein beliebtes Reiseziel ist. Doch nur unsere Leser haben das Glück, die Stadt durch ihre teils uralten Sagen, Mythen und Legenden kennenzulernen. Zum Beispiel auf der Nürnberger Kaiserburg: Betritt man den äußeren Burghof durch das große Tor, führt der Weg rechterhand zum Sinnwellturm, in dessen Spitze jahrhundertelang zwei Türmer Feuerwache hielten. Der Aufstieg ins 30 Meter hoch gelegene Stüberl lohnt sich für den atemberaubenden Blick – und um der Blauen Agnes nachzuspüren. Agnes soll einst als Findelkind bei Türmer Jörg gelebt und feinste Stoffe gewebt haben, allesamt in wunderschöner blauer Farbe. Die Nürnberger sind überzeugt, dass der gute Geist noch heute als blaue Silhouette durch die Gassen schwebt.

Die Folterkammer in den Lochgefängnissen ist heute noch gut ausgestattet (Bild: Dierenbach, CTZ Nürnberg).

Ebenso beeindruckend wie Nürnbergs höchste Turmspitzen ist der Untergrund der Stadt: In den Kellergewölben des Alten Rathauses befinden sich die berüchtigten Lochgefängnisse – ein Ort, von dem früher die wenigsten, die ihn gesehen hatten, erzählen konnten. Die zwölf engen Zellen samt Folterkammer und Henkerstube wurden ab dem 14. Jahrhundert für besonders ruchlose Verbrecher genutzt. Auch der Patrizier Hans Stromer wurde um 1550 hier festgesetzt, da man ihn verdächtigte, die Interessen der Stadt und des Kaisers verraten zu haben. Wegen Veruntreuung wurde er verurteilt, doch eine Gunst durfte er sich erbitten: Während seiner 38-jährigen Haft soll Stromer stolze 28.000 Nürnberger Bratwürste – sein Leibgericht – verspeist haben. Es heißt, die besondere Form der Würste, klein und dünn, komme nur daher, dass sie über so lange Zeit durch das Schlüsselloch einer Zellentür passen mussten.

Die pittoreske Weißgerbergasse (Bild: Niklas, CTZ Nürnberg)

Die Weißgerbergasse ist Nürnbergs Schmuckkästchen: Einst waren hier die Gerber ansässig, die am nahen Fluss Pegnitz ihrem geruchsintensiven Handwerk nachgingen. Dass im Spruch „Stinkende Häut machen reiche Leut“ Wahrheit steckt, sieht man an den 22 erhaltenen Handwerkerhäusern in schönstem Fachwerk, wobei es heute aus den darin beheimateten Läden, Cafés und Wirtschaften bedeutend besser duftet. Einst stand in dieser Gasse auch das Wirtshaus Zum Schwarzen Bären – und vielleicht würde dort immer noch bestes Bier ausgeschenkt, wenn eine Magd nicht vor vielen Jahren eine Dummheit begangen hätte. Im Speicher des Schwarzen Bären war nämlich eine Kammer stets verschlossen. Beim Großputz missachtete die Magd das Gebot, die Kammertür nicht anzurühren, und – schwupps! – entkam der gefangene Poltergeist. Er soll alle Gäste des Schwarzen Bären so lange mit lautem Rumoren geplagt und sogar aus ihren Gläsern getrunken haben, bis der Wirt sein Geschäft aufgeben musste.