Bayerische Geschichten 09/2021: Der Gipfel der subversiven Mundartdichtung

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Wadlbeissn“ ist ein genuin bairisches Wort, das in keinem anderen Dialekt vorkommt. Wörterbücher definieren den Wadlbeißer als kleinen, bissigen Hund, aber auch als eine Person, die als Stänkerer und Zyniker beschrieben wird; einer, der um boshafte Kommentare nicht verlegen ist. Das klingt vielleicht stark nach Stammtisch und bajuwarischer Folklore mit Lederhosn und Bierzelt, doch damit hatte Anton G. Leitner gar nichts im Sinn, als er seinem bairisch-hochdeutschen Gedichtband den Namen „Wadlbeissn“ gab. Als Poet des Realen gelingt es Leitner spielend, falsche Heimattümelei vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Mit seinen subversiven Mundart-Versen beleuchtet Leitner sämtliche Lebenslagen und nimmt dabei aktuelle (politische) Themen ebenso ins Visier wie den alltäglichen Wahnsinn, der einem im Leben so begegnet. Er schreckt auch nicht davor zurück, den Finger in die Wunde zu legen und so ein „pointiertes Portrait bayerischer Wesensart“ (MUH-Magazin) zu schaffen. Für Nicht-Bayerinnen und -Bayern hat der Autor jedem seiner Mundartverse eine hochdeutsche Übertragung beigestellt.

Hundsdog

Des Biagarddal hams ezad aa
No mid am Maschndrodzaun
Eikasdld und davoa üwa Nachd
An Dschäggpoind »Gäste« ei-
Grichd, midsamd am grachadn
Schuidawoid:

WARDDN! MIA HÄIFA EICH GLEI
WEIDA! • MASSGNBFLICHD! •
EINI GEEDS NUA MID NOAMALA
KÖABBA-DEMBBARADDUA! •
HUASDN IN ELLABONG OBLIGADORISCH!
• AUFMANDLN IS NEED!

De easde Hoibe is ma aa
Noch a gschlongna Dreiviadl-
Schdund bei viaradreissg Grod
Im Schaddn bloos ois Faaddaa
Moagaana auf da Gedrängge-
Karddn easchiena, de i fasd

Obgschleggd hädd, wei ses
Voahea mid am rassn Obsdla
Obgschbrizzd ham. Mid da
Hügiene neema ses jednfois
Eansd, des muas ma eana
Scho lassn.

Hundstage

Das Biergärtchen haben sie jetzt auch
Noch mit NATO-Draht
Umfriedet und davor über Nacht
Den Checkpoint »Guests« aus dem
Boden gestampft, mitsamt
Schilderwald in Signalfarben:

HIER WARTEN! WIR ESKORTIEREN SIE
ZUM TISCH! • MASKENPFLICHT! •
ZUTRITT NUR MIT NORMALER
KÖRPERTEMPERATUR! •
HUSTEN IN DIE ARMBEUGE VERPFLICHTEND!
• KEINE DISKUSSIONEN!

Die erste Halbe ist mir auch
Nach einer geschlagenen Dreiviertel-
Stunde bei vierunddreißig Grad
Im Schatten lediglich als Fata
Morgana auf der Getränke-
Karte erschienen, die ich fast

Abgeschleckt hätte, weil sie diese
Vorher mit einem hochprozentigen Rachenputzer
Desinfiziert hatten. Die
Hygiene jedenfalls wird in dieser Wirtschaft
Ernst genommen, das muss man anerkennend
Einräumen.

Da scheene Schein

Need oiss, wos is,
Is aa so, wiasd moansd,
Dass is. Awa
Wennsd moansd, dass so
Sei soi, nachad lassmas
Hoid so sei.

Der schöne Schein

Nicht alles, was ist,
Ist auch wirklich so, wie du
Meinst. Aber
Wenn du wirklich meinst, dass es so
Sein soll, dann lassen wir es
Halt so sein.

60 Sekunden Poesie: Anton G. Leitner rezitiert zwei zupackende bairische Gedichte aus seinem Band »Wadlbeissn« (mit hochdeutschen Untertiteln)