Bayerische Geschichten 07/2021: Fotos aus dem Fesselballon

Liebe Leserin, lieber Leser,

Wer von Ihnen weiß, dass es auf der Theresienwiese vor über hundert Jahren eine Heimgartenkolonie gab? Oder eine Luftschiffer-Lehrabteilung auf dem Oberwiesenfeld? Wer kennt noch die Hochbaupläne für die Museumsinsel, die ursprüngliche Ausdehnung des Schwabinger Leopoldparks, das Schlösschen „Schwanenburg“ in Haidhausen, das gefürchtete „Arbeitshaus“ in der Au, die Anger-Fronveste und das Corneliusgefängnis mitten in der Innenstadt – oder das Gaswerk direkt gegenüber des Alten Südfriedhofs? Die von den Texten von Richard Bauer und Eva Graf begleiteten großformatigen Luftbilder aus dem Stadtarchiv München verführen unweigerlich, sich in das alte München zu vertiefen und auf Entdeckungsreise zu gehen:

Die zum Isarufer parallel laufenden Straßenzüge von Zeppelin-, Lilien- und Hochstraße umfassen die älteste Bausubstanz der Au. Besonders eindrucksvoll ist die Herbergenbebauung am Paulanerplatz, an die sich rechts das Geviert des im späten 18. Jahrhundert gefürchteten Auer „Arbeitshauses“ (eines Zuchthauses) anschließt, das vordem eine Seiden-, Tuch- und Gobelinmanufaktur beherbergt hatte. Im 19. Jahrhundert wurde der Komplex im Wesentlichen Bestandteil der Schmucker-, später Wagnerbrauerei. Nur durch eine schmale Gasse davon getrennt findet sich die zu einem quadratischen Gebäude ergänzte Bausubstanz des einstigen Hofmarksschlosses „Wageck“, in der von 1828bis 1888 eine Brauerei betrieben wurde und bis zum Zweiten Weltkrieg die Wirtschaft „Zum Lilienbräu“ bestand.
Auf der Kohleninsel ist die vom hölzernen Ausstellungsgebäude (II. Kraft- und Arbeitsmaschinenausstellung 1898) eingefasste Alte Isarkaserne zu sehen; am rechten Bildrand die Baustelle des 1897bis1901 nach Plänen von Karl Hocheder errichteten Müller’schen Volksbads.

Aufnahme von 1898
Aufnahme von 1905

Von 1664 an entstand bei der einstigen Schwaige Kemnaten im Verlauf eines Jahrhunderts in mehreren Bauphasen eine der schönsten Schlossanlagen Europas. Vor der Ostfront des Schlosses öffnet sich im Halbkreis ein mit Rondellbauten besetzter repräsentativer Ehrenhof, an den sich – nach einer nicht realisierten Planung des 18. Jahrhunderts – eine kleine höfische Vorstadt (Carlstadt) hätte anschließen sollen. Entstanden waren aber nur einige wenige Handwerkerhäuschen, u.a. an den Auffahrtsalleen und beim Nymphenburg-Biedersteiner Kanal.
Die vorliegende Aufnahme macht, da vor der Anlage des Botanischen Gartens und der neuen Menzinger Straße entstanden, den einst direkten Zusammenhang zwischen Schlosspark und „Kapuzinerhölzl“ deutlich. Im Vordergrund des Bilds ist das gesamte Gelände des „Volksgartens“ (rechts vom Rondell des Romanplatzes) mit noch bestehenden Teilen der Vergnügungsanlagen zu erkennen.

Seit 1892 war Thalkirchen (eingemeindet 1900) über die Isartalbahn mit München verbunden. Der starke Ausflugsverkehr blieb nicht ohne Folgen für die in der Nähe der Stadt gelegenen Orte des Isartals. Die Einwohnerzahl Thalkirchens und der Prinz-Ludwig-Höhe stieg von 2.740 im Jahr 1895 auf 7.300 im Jahr 1905.
Die vorliegende Aufnahme zeigt die Situation nördlich der 1907 bis 1910 von Gabriel von Seidl umgebauten Wallfahrtskirche Maria-Himmelfahrt und des Thalkirchner Bahnhofs im Bereich von Schäftlarn-, Pogner-, Emil-Geis- und Thalkirchner Straße.
Nahe dem rechten oberen Bildrand ist der alte, 1816 angelegte jüdische Friedhof zu erkennen.

Aufnahme von 1910