Bayerische Geschichten 05/2023: Max auf großer Reise

Liebe Leserin, lieber Leser,
in Bayern, ganz weit im Süden, wo man die Alpen sehen kann, gibt es ein Dorf mit spitzem Kirchturm und Maibaum. Ruhig und gemütlich könnte das Leben dort in Stephanskirchen sein. Ist es aber nicht. Denn hier wohnt der Max – blitzgescheit und für jedes Abenteuer zu haben. Und wenn eines davon mal wieder grandios nach hinten losgeht, gibt Opa Alfred Rückendeckung.
Im 4. Band der beliebten Kinderbuchreihe gönnt Autorin Rosi Hagenreiner der Stephanskirchener Dorfgemeinschaft eine Auszeit von Max‘ kleinen, mittleren und gewaltigen Katastrophen. Denn diesmal schickt sie ihren modernen Lausbuben auf große Fahrt: nach Berlin, Wien, auf italienische Inseln, ins Skilager und sogar per Schüleraustausch bis ins ferne China. Die 18 nigelnagelneuen Geschichten wurden ebenso liebe- wie humorvoll illustriert von Martina Mair.

Leseprobe: „Urlaub in Österreich …“

Geplant war eine gemütliche Urlaubswoche in Österreich. Bergsteigen, gut essen, Seele baumeln lassen. Opa Alfred stört es nicht einmal, dass sich seine Schwester Irmi als Urlaubsbegleitung der Familie aufgedrängt hat. Aber dann kommt es ganz anders … 

Die Ferienwohnung in Kufstein hat Opa Alfred selber gebucht. Nicht im Zentrum der Stadt, sondern etwas außerhalb, dort, wo der Aufstieg zum Pfandlhof beginnt, ein idealer Ausgangspunkt für Wanderungen im Kaisergebirge. Na ja, wenn der Opa was plant, dann hat das auch Hand und Fuß.
Er hat diesmal sogar eigenhändig seinen Koffer gepackt: Wanderschuhe, Gummistiefel, Strohhut, die roten Kniestrümpfe und das rot-weiß karierte Hemd, das die Oma ganz schrecklich findet. Drei Tage vor der Abfahrt verstaute er seinen Werkzeugkasten im Kofferraum, damit der ja nicht vergessen wurde! In so einer Ferienwohnung gibt es schließlich immer etwas zu reparieren.
Als Oma und die Kinder auch mit dem Packen fertig waren, war das Auto mal wieder bis oben hin mit Koffern, Taschen und Tüten vollgestopft. Und das, obwohl es nur ein Wanderurlaub werden sollte! Alfred nahm’s gelassen. Nicht einmal seine Schwester Irmi, die mit ihrem Motorrad in den Hof donnerte, dass die Kieselsteine nur so flogen, konnte ihn aus der Ruhe bringen. Guter Dinge und fröhlich pfeifend setzte er sich hinters Steuer.
Und ab ging die Post, Richtung Süden!
Die Irmi klappte ihr Visier nach unten und schwang sich wieder auf ihr Fahrzeug. Von oben bis unten in Leder gekleidet, brauste sie hinterher. Einziger Farbtupfer war ihr selbstgestrickter gelber Schal. Mit dem Stricken hatte sie an dem Tag angefangen, als sie ihre IRRMI, ihr Motorrad, gekauft hatte, und dabei gedacht: „Ich strick weiter, bis ich den Führerschein hab.“ Entsprechend lang ist er geworden. Selbst wenn sie sich den Schal fünfmal um den Hals wickelte, flatterte er immer noch im Fahrtwind wie eine dicke gelbe Fahne. Und weil die Irmi die meiste Zeit vor dem Opa fuhr, hatte der den Zipfel des Schals auf der Windschutzscheibe. Aber noch nicht einmal das konnte seine gute Laune trüben.


Nach einer knappen Stunde waren alle am Fuß des Wilden Kaisers angekommen. „Super!“ Alfred war zufrieden. „So muss Urlaub sein, kein Stress und vor allem kein stundenlanges Autofahren“, dachte er, bog in die Kaiserstraße ein und klingelte bei der Hausnummer 27.
Frau Kufer, die Vermieterin der Ferienwohnung, guckte aus der Tür, schüttelte den Kopf und sagte: „Tut mir leid, die Wohnung ist noch nicht frei.“
„Wieso das denn?“ Alfred war verwundert.
„Na, weil Sie zu früh dran sind.“
„Na gut, ist nicht so schlimm, dann warten wir eben, wir haben ja Zeit“, sagte Opa und setzte sich auf die Bank neben der Haustür.
„Mein Herr, Sie können gerne hier auf dieser Bank warten. Aber Sie wissen schon, dass Sie erst für nächste Woche gebucht haben?“
Alfreds Kinnlade klappte nach unten. Mit offenem Mund starrte er auf die Frau Kufer, dann auf die Oma, die neben ihm stand und ebenfalls ziemlich bedröppelt dreinschaute. „Das darf doch nicht wahr sein!“ Oma raufte sich die Haare. „Was machen wir jetzt, Alfred? Auf die Schnelle bekommen wir hier mit Sicherheit keine andere Ferienwohnung.“
Alfred schluckte. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Warum musste ausgerechnet ihm so was passieren?
Max versuchte, ihn zu trösten. „Opa, das ist doch nicht schlimm. Dann fahren wir halt einfach weiter nach Elba! Bitte, Opa!“ Max und Kati hatten sowieso keine Lust, eine ganze Woche lang auf irgendwelche Berge zu rennen.
„Das kommt überhaupt nicht in Frage.“
„Opa, schau, auf Elba gibt’s bestimmt wieder Leberkäspizza. Die magst du doch so gern.“
„Ich brauch keine Leberkäspizza!“
Die Oma versuchte zu vermitteln. „Weißt du was, Alfred“, sagte sie, „wir fahren am besten wirklich noch ein Stück weiter, nach Südtirol, das sind nur ein paar hundert Kilometer. Was hältst du davon? Da hat es dir doch immer gut gefallen. Außerdem ist da bestimmt nicht so viel los wie hier. Und wandern können wir dort auch.“
„Mpf“, brummte Alfred. Am liebsten wäre er wieder heimgefahren.
„Also Alfred, jetzt stell dich nicht so an“, sagte seine Schwester Irmi und ließ den Motor ihrer Maschine aufheulen. „Südtirol ist nicht weit, sei kein Frosch!“
Alfred brummte noch ein wenig, musste sich aber schließlich geschlagen geben. Max und Kati wurden ins Auto gescheucht und weiter ging’s, wieder Richtung Süden, über den Brenner – wo es auf den Passhöhen doch tatsächlich geschneit hatte.
Die Irmi kam mit ihrem Gefährt ganz schön ins Schleudern. Sie musste absteigen und ein Stück schieben. Dann fiel ihr auch noch das schwere Motorrad um und in den Schnee. Fast eine Stunde hat’s gedauert, bis ihr ein netter LKW-Fahrer behilflich war und ihr Fahrzeug wieder aufgestellt hat. Da waren die anderen schon über alle Berge.
„Erna, ich glaub, die ist wieder heimgefahren“, sagte Opa hoffnungsvoll, als die Irmi im Rückspiegel nicht mehr zu sehen war.
Aber er hatte sich zu früh gefreut. Tante Irmi ließ sich nicht unterkriegen. Nach ein paar hundert Metern war die Fahrbahn wieder schneefrei. Sie klappte das Visier nach unten, gab ordentlich Gas und düste mit verbissener Miene und 185 km/h auf der linken Spur über die Autobahn, bis sie Opa kurz vor Bozen eingeholt hatte. Der erschrak nicht wenig, als er plötzlich einen gelben Schal neben sich flattern sah.
„Alfred“, sagte die Irmi beim Mittagessen in Bozen, „ich glaube, es gibt bald ein Gewitter.“
„Wie kommst du denn auf die Idee? Die Sonne scheint, kein Wölkchen ist am Himmel.“
„Alfred, glaub mir, die ganze Strecke vom Brenner bis hier runter hat’s immer wieder geblitzt, 19 Mal, ich hab mitgezählt!“…

Ob Südtirol die letzte Station der Familie auf ihrer Urlaubsreise sein wird, verraten wir nicht. Nur so viel: Am Schluss gibt es für Tante Irmi eine gewaltige Rechnung der Verkehrspolizei und für Opa Alfred eine extragroße Leberkäspizza.