Bayerische Geschichten, 03/2021: Giftmord in Würzburg

Liebe Leserin, lieber Leser,

ein Giftanschlag schockt Würzburg: Sein Glas Silvaner, Lage „Würzburger Stein“, bezahlte ein ahnungsloser Rentner mit dem Leben. Aber erst als beim bekannten Weingut „Juliusspital“ ein Erpresserbrief eingeht, zeichnet sich ein Motiv ab. Die Giftmischer wollen aus der einen präparierten Flasche nur dann keine Mordserie werden lassen, wenn das Weingut eine Millionensumme zahlt. Geht es den Tätern wirklich ums schnelle Geld oder steckt mehr dahinter? Und welche Schuld hat das Juliusspital auf sich geladen, die nur mit dem Tod gesühnt werden kann? Auf der Suche nach Antworten tauchen die beiden Ermittlerinnen Leonie von Brandenstein und Stefanie Volland tief in die Abgründe der Würzburger Wein- und Gastro-Szene ein …
Zum dritten Mal lässt Werner Rosenzweig, der Meister des Frankenkrimis, seine Heimat zum Schauplatz eines Verbrechens werden: Franken-Flair, ein lange gehütetes Geheimnis und dramatische Morde vor Würzburgs von Reben gesäumter Kulisse sorgen für eine süffige Mischung!

Nikolaus Kohl, der SupermarktFilialleiter, war überaus nervös, als er die beiden Frauen in sein Büro führte. Er war Mitte vierzig und gab sich gern als Mann von Welt. Schwarzer Anzug, blütenweißes Hemd, sogar ein Einstecktuch. Schwarze Swarovski-Manschettenknöpfe lugten aus den Hemdsärmeln hervor. Die Gläser der schlichten Hornbrille waren blank geputzt, die Frisur konservativ, der Linksscheitel wie mit dem Lineal gezogen. „Nehmen Sie doch Platz, meine Damen. Kaffee, Tee oder ein Glas Mineralwasser?“
„Danke, nichts“, antwortete Leonie, während sie sich in einen der bequemen Bürostühle sinken ließ, „wir kommen besser direkt zur Sache.“
„Aber natürlich“, willigte der Filialleiter ein. „Ich kann es noch immer nicht glauben, dass Herr Beimer durch einen Wein aus unserem Sortiment sterben musste. Ich kannte ihn, den Beimer. Kaufte oft bei uns ein. Ein Stammkunde. Seine Wohnung liegt ganz in der Nähe. Am Mittwoch huschte er kurz vor Feierabend noch schnell herein … Mein Gott, was für eine Tragödie.“
„Könnten wir auf den Punkt kommen, Herr Kohl?“
„Ja, natürlich. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“
„Ich nehme an“, setzte die Hauptkommissarin an, „Sie überwachen Ihre Verkaufsflächen mit Videokameras?“
„Ja, selbstverständlich“, antwortete der Filialleiter stolz.
„Auch draußen auf den Parkplätzen?“
„Nein, dort nicht, nur im Inneren unseres Markts.“
„Wie lange heben Sie die Daten auf?“
„Eine Woche, dann löschen wir sie wieder.“
„Gut, dann können Sie uns sicherlich die Aufnahmen überlassen, und zwar alle, die noch verfügbar sind.“
„Natürlich, das ist kein Problem“, zeigte sich Kohl kooperativ. […]
Im Kommissariat machten sich Leonie und Stefanie sofort über die Video-Daten aus dem Supermarkt her. Zeitlich mussten sie nicht weit zurückgehen. Da: Sie sahen, wie sich Hans Beimer am 2. Mai die tödliche Flasche aus dem Verkaufsregal griff.
Danach gingen die beiden Kriminalbeamtinnen die Aufnahmen der Tage zuvor im Schnelldurchlauf an. Zuerst der Montag. Bis eine halbe Stunde vor Feierabend war ihnen nichts aufgefallen. Dann stupste Leonie ihre Kollegin: Der Film zeigte eine blonde Frau mit beigefarbenem Sommermantel und dunkler Sonnenbrille, die den Discounter betrat. Eine bauchige Handtasche hing schwer von ihrer linken Schulter herab. Sie schob einen noch leeren Einkaufswagen vor sich her.
Was den beiden Polizistinnen auffiel, war, dass die Frau ungewöhnlich oft in die diversen Kameras an der Decke blickte, sie regelrecht zu suchen schien, sich dabei aber jedes Mal eine ihrer Hände vors Gesicht hielt. Dann erst begann sie mit ihren Einkäufen. Zuerst steuerte sie ihren Wagen in die Obst- und Gemüseabteilung. Zwischendurch verschwand sie im Regal, in dem die Nudeln auslagen. Dort machte sie sich an ihrer riesigen braunen Tasche zu schaffen. „Was macht sie da?“, murmelte Leonie.
„Keine Ahnung“, antwortete Stefanie. „Die Verkaufsregale stehen dort zu eng, schlechter Kamerawinkel, ich erkenne nichts.“
Als die Frau weiterging und ihren Einkaufswagen aus dem Gang mit den Nudeln herausschob, war es die Hauptkommissarin, die „Stopp!“ schrie.