Bayerische Geschichten 02/2024: München als Drehscheibe des weltweiten Kunsthandels

Liebe Leserinnen und Leser,

seinen Geburtsort Schmalenberg verließ Julius Böhler 1874 im Alter von 14 Jahren, um als Hausierer für Kurzwaren abseits der Heimat eine berufliche Karriere zu starten. Damals ahnte niemand, dass er sich schon bald dem Kunst- und Antiquitätenhandel zuwenden und 1882 in München ein Unternehmen begründen würde, das nach der Jahrhundertwende zu den bedeutenden Playern der Branche in Deutschland zählte. Sammlereliten in den Metropolen München, Berlin, Wien, Paris, Frankfurt am Main, Budapest und London schätzten Julius Böhlers Angebot und Expertise. Das Geschäft mit reichen und superreichen Amerikanern bildete darüber hinaus ein Betätigungsfeld mit erheblichem Gewinnpotenzial. Richard Winkler erzählt in seinem reich bebilderten Buch „Vom Hausierer zum Multimillionär“ die Geschichte dieses beeindruckenden Aufstiegs.

Der Münchner Kunsthändler Julius Böhler (1860–1934), um 1900 (Foto: Bayerisches Wirtschaftsarchiv F43, 997)

Julius Böhler wuchs in einfachen Verhältnissen in einem kleinen Dorf im Südschwarzwald auf, dessen Bewohner ihren Lebensunterhalt mit karger Viehhaltung, Waldwirtschaft und Eisenverarbeitung verdienten. Seine Familie widmete sich bereits seit Generationen der Nagelschmiedekunst, doch hatte dieser Handwerkszweig nach der Stilllegung der Eisenhütten Ende der 1860er Jahre und aufgrund der wachsenden Konkurrenz durch mechanische Drahtstiftfabriken keine Zukunft. Julius Böhler musste sich also umorientieren. Zusammen mit seinem älteren Bruder Wilhelm versuchte er sich im Wanderhandel, der keine spezifische Ausbildung und nur wenig Kapital erforderte. Die feilgebotenen Kurzwaren – Bänder, Tücher, Spitzen, Garne, Knöpfe etc. – führten Wilhelm und Julius wohl auf Tragegestellen mit sich. Abnehmer war in erster Linie die Landbevölkerung, für die der Hausierkauf oftmals die einzige Möglichkeit zum Erwerb derartiger Gebrauchsartikel bot.

Das Palais Böhler in der Brienner Straße 12 (Foto: Bayerisches Wirtschaftsarchiv, F43, 992)

Diese Tätigkeit führte die beiden Brüder Mitte der 1870er Jahre nach Allensbach am Bodensee, wo sie ihr Sortiment von Kurzwaren auf „Altertümer“ ausweiteten. Bald schon konzentrierten sie sich nur noch auf diesen erfolgsversprechenden Geschäftszweig, standen doch kunsthandwerkliche Objekte und überkommene Gebrauchsgegenstände früherer Epochen beim vermögenden Bürgertum hoch im Kurs. Die einfachen Kurzwaren wurden nun ersetzt durch mittelalterliche Holzfiguren, Bilder, Wand- und Deckenvertäfelungen sowie Geschirr aus Ton und Porzellan. Diese wurden in der Regel für wenig Geld im Zuge von Haushaltsauflösungen, Abrissen und Veränderungen von Gebäuden aufgekauft. Bereits in ihren Jahren in Allensbach bauten sich die Böhlers ein Netzwerk aus Geschäftsbeziehungen auf, das bis nach München reichte.

Ausstellungsraum mit Kunstwerken und Antiquitäten im Palais Böhler (Foto: Bayerisches Wirtschaftsarchiv, F43, 992)

Die bayerische Landeshauptstadt entwickelte sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Zentrum für die Kunst- und Antiquitätenhändlerszene und bot für Julius Böhler somit den perfekten Ort, um ein Ladengeschäft zu eröffnen. Bald schon machte er sich in der Branche einen Namen und bereits Ende 1881 belief sich sein Vermögen auf 8.073 Mark – das Zehnfache des Jahreseinkommens eines Arbeiters in der Metallbranche. Die Geschäfte florierten und erstreckten sich später über ganz Europa und bis in die USA. Präsentiert wurde Böhlers Sortiment an hochkarätigen Kunst- und Antiquitätsgegenständen standesgemäß in den Ausstellungsräumen des 1905 eröffneten Firmensitzes in der Brienner Straße 12. In einer Beschreibung des Palais Böhler aus dem Jahr 1913 heißt es: „Bald da, bald dort trifft der suchende Blick auf ein Juwel, vor dem man Stunden verweilen könnte; denn von allem, was der schöpferische Menschengeist seit Jahrtausenden erzeugte, zeigen sich hier auserlesene Proben.“