Bayerische Geschichten 12/2021: Zukunft braucht Herkunft

Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist eines der prägenden Baudenkmäler des Münchner Stadtbilds: das Stammhaus der IHK für München und Oberbayern in der Maxvorstadt. Friedrich von Thiersch und Gabriel von Seidl, zwei der bedeutendsten Architektenpersönlichkeiten der Prinzregentenzeit, zeichnen für dieses Werk verantwortlich. Durch den respektvollen Umgang mit der Gebäudesubstanz während der Sanierung blieb ein wertvoller städtebaulicher Akzent der bayerischen Landeshauptstadt erhalten, was die Auszeichnung mit der Bayerischen Denkmalschutzmedaille 2020 unterstreicht. Die Historikerin und Leiterin des Bayerischen Wirtschaftsarchivs Eva Moser zeichnet die bewegte Geschichte des denkmalgeschützten Gebäudes nach und präsentiert in umfangreicher Bebilderung historische und zum Teil völlig unbekannte Ansichten der IHK-Zentrale.

Als München Ende des 18. Jahrhunderts aus allen Nähten platzt, erteilt Kurfürst Max IV. Joseph 1802 die Genehmigung, den „Kapuzinergraben“, das heutige Gelände des Lenbach- und Maximiliansplatzes einzuebnen. Der Plan aber, eine „Industriehalle“ auf dem Areal der Eschenanlage nördlich der heutigen IHK zu errichten, scheitert letztlich: Die Grünfläche der Eschenanlage soll der Erholung dienen, der westliche Rand des Maximiliansplatzes aber sollte bebaut werden. Als das Grundstück nach wechselnden Vorbesitzern zum Verkauf steht, finden sich mit der Münchner Börse und der Münchner Handelskammer zwei Interessenten. Gemeinsam, auf unterschiedlichen Etagen, beziehen sie im Jahr 1901 ihr neues, vom Architekten Friedrich von Thiersch entworfenes „Haus für Handel und Gewerbe“.

Bildpostkarte des Hotel-Restaurants Achatz, um 1897 (Bildnachweis: Bayerisches Wirtschaftsarchiv)

Plakat für das Café-Restaurant „Neue Börse“ im Haus für Handel und Gewerbe, um 1905 (Bildnachweis: Bayerisches Wirtschaftsarchiv)

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs stellt die Kammer vor bisher unbekannte Herausforderungen: Das Erstellen von Gutachten über die Kriegswichtigkeit von Betrieben, die Vermittlung zwischen Schuldnern und Gläubigern bei kriegsbedingten Zahlungsschwierigkeiten oder die Beschaffung von Heeresaufträgen für die oberbayerische Wirtschaft zählten nun zu ihren Aufgaben. Mit der Zeit wird ein Umbau unumgänglich, doch die Inflation verzögert diesen und die Kammer konnte schließlich nur noch dank eines Überbrückungskredits weiterarbeiten.

Als das Grundstück in der Max-Joseph-Straße 2 zum Verkauf steht, lässt sich die Antiquitätenhändlerfamilie Drey 1911 von dem Architekten Gabriel von Seidl ein elegantes Wohn-und Geschäftshaus mit großzügigen Mietwohnungen bauen. Dort finden auch die Schwiegereltern von Thomas Mann nach dem Verlust ihrer Villa zeitweilig ein neues Zuhause. 1935 entschließt sich der Seniorchef der Firma, das Gebäude an die benachbarte Kammer zu verkaufen. Die IHK erweist sich trotz eines zur NSDAP zugehörigen Präsidenten und eines auf Parteilinie liegenden Hauptgeschäftsführers als fairer Verhandlungspartner.

Nachdem das Stammhaus im Zweiten Weltkrieg bereits immense Kriegsschäden davongetragen hatte, wich das Personal im Januar 1945 auf „Kellerbüros“ und eine „Bürobaracke“ in Söcking aus. Schnell entwickelte sich die Kammer nach Kriegsende zur Anlaufstelle für hilfe- und ratsuchende Firmenvertreter. Nach Instandsetzung der IHK-Zentrale zog die Institution in ihr angestammtes Domizil zurück. Da die beiden historischen Gebäude nicht auf die Anforderungen des modernen Bürobetriebs ausgelegt waren und die Statik größte Probleme bereitete, entschloss sich die IHK in den 2000ern zu einer Generalsanierung. Heute vereint das Stammhaus auf gelungene Weise Tradition und moderne Funktion.

Das Autohaus im Thierschbau in den 1960er Jahren (Bildnachweis: Bayerisches Wirtschaftsarchiv)