Bayerische Geschichten 33/2020: Goethe auf Kurzbesuch in München
Liebe Leserin, lieber Leser,
1786 ist das Jahr, in dem Johann Wolfgang von Goethe nach Italien reist. Auf seinem Weg von Weimar nach Rom macht er Station in München, womöglich auch nur deshalb, weil die Stadt auf direktem Weg zum Brenner liegt. Nur gut 24 Stunden verbringt er in der baierischen Residenzstadt. Doch dieser Tag hinterlässt eine seltsam anmutende Leerstelle im Reisetagebuch des Dichterfürsten. Was hat Goethe in München gemacht? Was hat er gesehen und wofür hat er sich interessiert? Und wie ist man damals eigentlich gereist? Welches Gepäck hatte man dabei? Dieser und ähnlichen Fragen geht Kurt Helmut Schiebold in „Goethes Trip nach München“ mit einem Augenzwinkern nach. Dabei spürt er den Facetten des Menschen Goethe nach, wirft ein neues Licht auf das alte München der Kurfürstenzeit, richtet den Blick aber auch auf die heutige Zeit.
Das Wetter am Mittwoch, dem 6. September 1786, ist schlecht und unfreundlich – typisches Museumswetter. Müde von der Fahrt, aber dennoch voller Tatendrang steigt Goethe zunächst die 419 Stufen des Nordturms der Frauenkirche empor und blickt in das Tiroler Gebirge und findet „es bedeckt und den ganzen Himmel überzogen.“ Er ist wohl vor allem begierig, einen „Blick in Richtung auf sein übergeordnetes Reiseziel“ zu werfen. Viel kann er bei der gegebenen Wetterlage jedoch nicht gesehen haben. Vielleicht wollte er auch nur seine Neugier befriedigen und den Ort besuchen, von dem Fanny von Ickstatt in den Tod stürzte – wohl ein Selbstmord nach dem Vorbild seines „Werther“. Das Buch fand man später in ihrem Zimmer.
Nach der Frauenkirche macht der Dichterfürst sich auf den Weg zur kurfürstlichen Residenz. Den heute wohlbekannten weitläufigen Max-Joseph-Platz gab es damals noch nicht. Erst 1802 wurde das dort befindliche Franziskanerkloster zugunsten des Nationaltheaters abgerissen. Und noch ein Bau, den wir heute nur zu gut kennen, existierte bei Goethes Besuch noch nicht: der von Leo von Klenze 1835 fertiggestellte Königsbau der Residenz. Das seinerzeit als das schönste Theater in ganz Europa gelobte Cuvilliés-Theater, in dem Mozart 1781 die Uraufführung seiner Oper Idomeneo dirigiert hatte, interessiert Goethe nicht. Stattdessen besucht er das öffentlich zugängliche Antiquarium in der Residenz – doch auch dieses findet in seinem Reisetagebuch keine lobende Erwähnung. Aufgrund des schlechten Wetters und der fehlenden künstlichen Beleuchtung wirkt alles wohl ein wenig düster.
Sein weiterer Weg führt ihn in den frei zugänglichen Hofgarten, noch innerhalb der Stadtmauern Münchens an der Nordseite der Residenz gelegen. Goethe passiert mit Sicherheit den Kiosk von Giovanni Pietro Sardi, dessen Caféhaus später von Luigi Tambosi übernommen wurde und noch heute dessen Namen trägt. Im nördlichen Arkadengang entlang der heutigen Galeriestraße flaniert der Dichter dann durch die von Kurfürst Karl Theodor angelegte Hofgartengalerie, in der Gemälde aus den Schlössern Nymphenburg und Schleißheim ausgestellt werden. Als erwähnenswert erachtet Goethe die sechzig Skizzen zum Medici-Zyklus von Peter Paul Rubens. Diese befinden sich noch heute im Besitz des Freistaats Bayern, während der originale Medici-Zyklus im Louvre aufbewahrt wird.