Bayerische Geschichten, 32/2020: Eine bayerisch-fränkische Münchhausen-Geschichte

Liebe Leserin, lieber Leser,

im Sommer des Jahres 1967 fiebert ganz Rothenburg ob der Tauber dem Besuch des Schahs von Persien und von Farah Diba, seiner Kaiserin auf dem Pfauenthron, entgegen. Was keiner weiß: Auch Bartholomäus König, seines Zeichens Schuldirektor mit schauspielerischer Hochbegabung und tief sitzender Abneigung gegen Ordnung und Autorität, kann es kaum erwarten, die große Bühne zu betreten. Denn mit dem Schah teilt er sich weit mehr als das Geburtsdatum … Leonhard F. Seidl legt mit „Der falsche Schah“ einen Schelmenroman besonderer Art vor, für den er das Literaturstipendium des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg o.d.T. erhalten hat: ein bayerisch-fränkisches Münchhausen-Märchen mit Witz und bitter-süßen Wahrheiten über deutsche und iranische Geschichte.

Später fragte sich Bartholomäus König oft, ab wann seine Eltern wussten, dass er am selben Tag wie der Schah von Persien zur Welt gekommen war: Wir schreiben das Jahr 1919, es brodelt in und um München. Der große Krieg ist vorbei, der Kaiser hat Reißaus genommen in die Niederlande und nicht wenige Mannsbilder sind auf dem Schlachtfeld geblieben. Die baldige Mutter vom König ist gerade in den Schwammerln unterwegs, die nach einem kräftigen Herbstguss am Morgen des 26. Oktobers aus dem saftig-würzigen Waldboden sprießen, zwischen Tannennadeln, Laub und Ameisen, da spürt sie es: Der Bartholomäus macht einen Purzelbaum. Der erste in seinem Leben. […]

Und noch bevor das heiße Wasser da war, war der Bartholomäus da. Lange noch, bevor dort, im Grünwalder Wald, im Glashaus, wo er das Licht der Welt erblickte, der erste Stummfilm „Der Ochsenkrieg“ nach dem Roman vom Ludwig Ganghofer gedreht worden ist.

Jetzt aber warten alle darauf, dass der Bartholomäus schreit, wie die Else ihn in den Armen hält. Aber er schreit nicht, sondern schaut die Else an. Die schunkelt und schaukelt das runzlig-rote Menschenkind, aber es will einfach nicht schreien. Irgendwann wird es ihr zu blöd und sie streckt ihm die Zunge raus: „Bähhhhhh!“

Da dauert es keine Sekunde und auch der Bartholomäus streckt ebenso die Zunge raus und macht ein, zugegebenermaßen verwaschenes: „Bähhhhhh!“

Die Else zuckt zusammen, lässt ihn fast fallen, ihre Dienstmädchenhaube mit den Rüschen rutscht ihr vom Kopf. Die Gänsehaut auf ihren kräftigen Unterarmen stoppt das verwunschene Baby wie Schmirgelpapier. Und die Haube landet auf seinem nackerten Schädel, der damals schon schmaler war als der von den meisten anderen Babys. Die Haube sieht auf dem Bartholomäus seinem Kopf aus wie eine Krone. Und für einen Moment huscht ein siegessicheres Grinsen über seine kleine Goschen.

Aber wie die Else die Krone wieder auf ihren Kopf setzt, wird sein Gesicht ganz blau; erst die Lippen, dann das ganze Gfrieß. Die Else schaut ihre Helferin an, die Helferin die Mutter, dann alle drei das Kind: Und das reißt das Maul auf und plärrt. Was die Umstehenden fälschlicherweise als normal interpretieren und jetzt auch erleichtert lächeln.

Die Else gibt das unheimliche Buberl trotzdem lieber seiner Mutter. Und der Fuhrknecht sagt: „Ja, so genga die Gang.“

Womit er schon ganz schön viel über die Zukunft vom Bartholomäus vorhergesagt hat. Weil, die Geburt hat gezeigt, wo es einmal mit ihm hingehen wird – aber das wirst du später sehen.