Münchner Geschichte(n), 04/2015: Sein oder Nichtsein unterm Sternenhimmel
Liebe Leserin, lieber Leser,
so winzig das Theater ist, das Gerhard Weiß während der Wintermonate in seiner Schwabinger Wohnung bespielt, so riesig ist sein sommerlicher Zuschauerraum: In den achtziger Jahren trat er mit seinem Wandertheater auf Wiesen und in Parks überall in Deutschland, in Österreich, in der Schweiz und sogar in Italien auf. Überwölbt wurde der „Theatersaal“ dann vom nächtlichen Himmelszelt, die Bühne war ein hölzerner Leiterwagen, die Zuschauer saßen auf einfachen Bänken – und meistens waren es am Ende des Stücks viel mehr als zu Beginn.
Es waren die achtziger Jahre, in denen sich diese „alternativbewegte“ Spielertruppe von München aus auf eine sommerliche Tournee begab, um nach dem Vorbild der Gaukler, die auf mittelalterlichen Märkten auftraten, oder wie ein barockes Wandertheater an verschiedenen Orten Station zu machen. Die Leiterwagenbühne war tagsüber „Truppentransporter“ und wurde von einem Traktor gezogen, in einem alten Zirkuswagen war die Küche untergebracht und geschlafen wurde in einem großen Gemeinschaftszelt – oder unter freiem Himmel.
Gespielt wurde „Herr Peter Squenz“ von Andreas Gryphius oder „La Ligue des Femmes“ von Marivaux, Büchners „Leonce und Lena“ und schließlich auch „Hamlet“ und „Macbeth“. Auf elektrisches Licht verzichteten die „Alternativen“ der Achtziger ebenso konsequent wie auf Verstärker für die Instrumente und anderen technischen Schnickschnack. Dafür wurde viel improvisiert: Bei der Regie etwa, wenn der Brudermörder zusammensinken sollte, „als hätte er Bauchkrämpfe“, beim Text sowieso – und manchmal auch bei den Kostümen, wenn der entsprechende Koffer zu Hause vergessen worden war.
So vergingen viele spektakuläre sommerliche Theaterabende, gefolgt von nicht minder spektakulären winterlichen Theaterabenden im Dachgeschoss eines alten Hauses in Schwabing: Die 1975 gegründete Theaterwerkstatt „I-piccoli“ ist ein bezauberndes Relikt der einstmals blühenden Schwabinger Kleinkunstszene, ein geheimnisvoller, bunter, opulenter Kosmos, der von Gerhard Weiß seit mittlerweile vierzig Jahren bewohnt und bespielt wird. Die üppig bebilderte Dokumentation „Theatrum privatissimum“ erzählt seine Geschichte mit Textbeiträgen von langjährigen Weggefährten.
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