Ist vor der Wahl schon nach der Wahl?

Im Hinblick auf die anstehende Landtagswahl am 8. Oktober ist unser Titel „Was macht Bayern besser?“ für das Verständnis und das Selbstverständnis Bayerns aktueller denn je. Der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler Kaevan Gazdar bietet eine erhellende Darstellung des Aufstiegs eines ehemals agrarisch geprägten, rückständig-klerikalen Landes. Er räumt mit Klischees und Wunschvorstellungen wie „Mia san mia“ und „Liberalitas Bavarica“ auf und vermittelt das tatsächliche Erfolgsrezept einer Region, die mittlerweile europaweit Maßstäbe setzt für Wohlstand, Wohlfahrt und Wohlbefinden.

Warum regiert die CSU so lange so unangefochten? Wer diese Frage stellt, kennt die bayerische Geschichte nicht. Schon nach der Reichsgründung 1871 waren die Patrioten, eine regionale katholische Partei, die stärkste Macht im Lande. Das blieben sie bis zum Ersten Weltkrieg, auch nachdem sie sich der reichsweit aktiven katholischen Zentrumspartei anschloss – und erst recht, nachdem sie sich nach dem Krieg abspaltete als Bayerische Volkspartei. Die BVP regierte Bayern während der gesamten Weimarer Republik; die CSU-Männer der ersten Stunde in Bayern wie Ministerpräsident Fritz Schäffer oder der legendäre Alois Hundhammer stammten allesamt aus der BVP.

Die Frage ist eher: Warum ist Bayern unter CSU-Herrschaft so erfolgreich geworden? Wie wurde aus dem ehemaligen vermeintlichen Armenhaus ein Wohlstandsparadies, das eine Vielzahl von Zuwanderern aus dem In- und Ausland Jahr für Jahr geradezu magisch anzieht? Warum führt der Freistaat bei den meisten Kennzahlen – und zwar nicht nur bei den ökonomischen, sondern auch bei den sozialen und kulturellen?

Klischees haben die irritierende Eigenart zu stimmen, auch wenn sie bis zum Überdruss verbreitet werden. Was sich hinter den platten Laptop-Lederhose, High-Tech-Heimat-Sprüchen verbirgt, ist eine tiefere Realität. Nämlich wie Bayern von einem mächtigen Staat regiert wird – der aber immer wieder von Volksbegehren und –entscheiden zu Richtungsänderungen gezwungen wird. Wie Bayern gleichzeitig auf Innovation setzt und seine Infrastruktur verbessert. Wie die ultramoderne Bildungspolitik von einer konservativen Kulturpolitik ausgeglichen wird. Wie die CSU zwischen den Kaviar- und Leberkäs-Etagen jongliert. Das Kapital und die kleinen Leute: Sinnbild einer produktiven Dialektik, Schlüssel zu einer Erfolgsgeschichte, die in Deutschland ihresgleichen sucht.

Von kardinaler Bedeutung ist folgende Erkenntnis: Bayern ist keine soziale Marktwirtschaft, sondern ein Geschöpf des Staatsdirigismus. Das gilt seit den Zeiten des Ersten Ministers Montgelas Anfang des 19. Jahrhunderts und funktioniert weitgehend reibungslos unter der CSU. Ludwig Erhard scheiterte als kurzzeitiger bayerischer Wirtschaftsminister 1946 und hatte in Bayern – gelinde gesagt – immer einen schweren Stand. Ministerpräsident Hanns Seidel, einer der großen Wegbereiter des bayerischen Erfolgswegs, warf ihm schlicht „Praxisferne“ vor. Franz Josef Strauß sekundierte genüsslich, Erhard würde schlicht übersehen, wie sehr der Staat die Wirtschaft antreibe. Man konstatiere: Die Praxis gibt der CSU recht.

Alles in Butter also? Nicht ganz. Bayern droht zwar nicht, so überholt zu werden wie gerade das Innovationsvorbild Kalifornien vom Bundesstaat Texas. Mittelfristig aber wird sich rächen, dass die Christsozialen ihre bajuwarische Eigenart nach wie vor rustikal wie rabiat vorleben. Rund zwei Millionen Heimatvertriebene kamen nach dem Zweiten Weltkrieg nach Bayern, gefolgt von etlichen Hunderttausenden aus Ostdeutschland nach der Wende. Kein Einziger hat es an die politische Spitze geschafft.

Die CSU ist keine Heimatstätte für die vielen Zuwanderer und auch nicht für moderne Frauen. Ob dies die Partei ist, die den Klimawandel bewältigt, muss sich ebenfalls erst erweisen. Beim Populismus überholt von den Freien Wählern und der AfD, beim Idealismus von den Grünen; die Zeichen der Zeit sind klar zu erkennen. Auf dem Spiel steht Bayerns Zukunft. Denn nur die Staatspartei beherrscht die ultimative Formel einer produktiven Dialektik: Tüchtigkeit und Transzendenz.