Bayerische Geschichten 8/2024: „Japan Number One“ kommt aus Bayern

Liebe Leserinnen und Leser,

nach der japanischen Philosophie des „Enn“ sind alle Begegnungen und Ereignisse das Ergebnis eines langen Wirkungsprozesses. Viele kleine Verknüpfungen von Lebensfäden lassen Neues entstehen – zum Beispiel ein Buch, in dem sich Unternehmensgeschichte hervorragend mit autobiografischen Elementen verbindet: In „ENN – der Schicksalsfaden“ erzählt Kazuko Yamakawa von einem bayerischen Exportschlager, der im eigenen Land nahezu unbekannt ist, von einer Geschäftsfrau mit ebenso viel Herz wie Verstand und der überaus erfolgreichen Geschichte bayerisch-japanischer Zusammenarbeit.

Kazuko Yamakawa, 1966 – mit diesem Foto ging es nach Paris (Foto: Archiv Yamakawa).

Sicherlich war eine Menge „Enn“ im Spiel, als eine junge Japanerin 1967 durch die belgische Stadt Knokke spazierte und im Schaufenster einer Boutique etwas Besonderes entdeckte: ein Tuch – recht klein, aber so handschmeichlerisch weich und mit einem so anziehenden, für sie bedeutungsvollen Motiv versehen, ein Phoenix inmitten von Rosen, dass es um sie geschehen war. Kazuko Yamakawa arbeitete damals in Paris, als Verkäuferin in einem Tax-free-Shop, der vornehmlich japanische Reisende mit Souvenirs und Luxus „Made in Europe“ versorgte. Der Ausflug nach Belgien war eine Belohnung ihres Chefs für gute Arbeit – und sollte ihr Leben für immer verändern.

Die Herstellung des besonderen Chenille-Gewebes ist eine Kunst für sich: In einem ersten Webprozess wird das Garn mit den jeweiligen Farb- und Musterinformationen erzeugt. Es sieht aus wie eine bunte Raupe, die auf Französisch chenille heißt (Foto: Archiv Feiler).

Doch zuvor zog Kazuko Yamakawa mit ihrem frisch angetrauten Mann Aharon zurück in die Heimat, das Tuch mit Phoenix und Rosen im Gepäck. 1970 gründete das Paar das Vertriebsunternehmen Montrive, das sich auf den Import von Luxuswaren aus allen Teilen der Welt spezialisierte, und Kazuko erinnerte sich an ihren größten Schatz, das Tuch aus Belgien. Den Hersteller ihres Phoenix herauszufinden, glich echter Detektivarbeit: Kisten mit Souvenirs wurden durchwühlt, Dutzende halbvergilbte Kassenzettel entknittert und entziffert, Telegramme an belgische Boutiquenbesitzer und deren Zulieferer geschrieben und Monate geduldig gewartet, bis endlich der Kontakt zur oberfränkischen Firma Feiler stand.

Die erste Bestellung (Foto: Archiv Yamakawa)

Die Frottee- und Chenilleweberei Feiler mit Sitz in Hohenberg an der Eger stattete in den 1970er Jahren zwar schon edle Hotels von Paris bis Gstaad mit Handtüchern aus, war aber kaum bekannt. Kein Wunder: Der aufwendige Herstellungsprozess machte den Stoff zu einem seltenen Gut. Um das gewünschte Motiv einzuarbeiten, sind zwei Webprozesse notwendig, dazu musste damals jeder einzelne Chenilleschuß in der Maschine per Hand justiert werden – so konnten an einem Tag nur knapp zwölf Meter Chenille entstehen. Kazuko Yamakawa verlieh dem kostbaren Gewebe den Titel „Juwel der Stoffe“ und wagte mit ihrer ersten Bestellung am 25. September 1970 den Sprung auf den japanischen Markt. Und der Aufstieg der Marke Feiler zu „Japan Number One“, heute noch der Inbegriff von Luxus „Made in Germany“, begann.