Bayerische Geschichte(n), 6/2018: Die Frau zwischen Tradition und Moderne

Eva Gräfin von Baudissin genoss als Schriftstellerin und Journalistin einen hervorragenden Ruf bis weit über Deutschlands Grenzen hinaus. Ihren Romanerfolg „Der gute Erich“ würdigte man sogar mit einer eigenen Reklamemarke (Foto: Privatarchiv Richardsen).

Liebe Leserin, lieber Leser,

ob es Münchens „freie Luft“ war, die Eva Gräfin von Baudissin einst in die bayerische Metropole lockte? Künstler, Literaten und Querdenker lebten und arbeiteten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bevorzugt in München und genossen die ungezwungene Atmosphäre der Stadt, deren Gesellschaft auch alternativen Lebensentwürfen kaum mit Vorurteilen begegnete. Baudissin entstammte einem wohlhabenden und hochkultivierten Elternhaus. Von ihrem Zuhause in Lübeck aus hatte sie eine steile Karriere als Schriftstellerin und Journalistin bereits um die halbe Welt geführt, bevor sie sich 1908 in München niederließ. Begleitet wurde sie von ihrem 13-jährigen Sohn, für den sie seit ihrer Scheidung alleine sorgte. Es sollte noch bis 1912 dauern, bis Eva Gräfin von Baudissin sich im Verein für Fraueninteressen, dem Flaggschiff der Münchner Emanzipationsbewegung, engagierte – als alleinerziehende, berufstätige Mutter und ebenso eigenwillige wie erfolgreiche Künstlerin verkörperte sie aber seit Langem einen Frauentyp, der seiner Zeit weit voraus war.

Ihrer Zeit weit voraus – die Schriftstellerin, Feuilletonistin und Salonière Carry Brachvogel (Foto: Münchner Stadtmuseum)

Nicht minder beeindruckend liest sich die Biografie von Carry Brachvogel, die sich Zeit ihres Lebens geradezu lustvoll als lebender Widerspruch zum gängigen Frauenideal des Bürgertums im deutschen Kaiserreich präsentierte. Mit kaum 28 Jahren verwitwet, weigerte sich die zweifache Mutter, den leichten Weg einer zweiten Versorgungsehe einzuschlagen, und entschied sich stattdessen für das Risiko der privaten wie beruflichen Eigenständigkeit. Ihre Erfolge als Schriftstellerin, die ihrer kleinen Familie den Lebensunterhalt sicherten, waren hart erarbeitet, zeugen aber heute noch von großem Talent. Ihre „geistvolle Bosheit und ihren treffenden Witz“ wusste nicht nur Rainer Maria Rilke zu schätzen, der ein gern gesehener Gast in Brachvogels literarischem Salon am Siegestor in Schwabing war. Auch als Feuilletonistin wurde sie bald von allen gängigen Zeitungen umworben. Ab 1903 stellte Carry Brachvogel ihre Begabungen auch in den Dienst der Emanzipation und wurde Mitglied im Verein für Fraueninteressen, wo sie für die Aufwertung der Rolle der Frau in der Ehe, im öffentlichen Leben und in der Kunst eintrat.

Eine der zwölf Szenen des Schauspiels zeigt kampfeslustige und unzweifelhaft emanzipierte Amazonen. Mittig links ist die Schriftstellerin Emma Merk mit Speer und römischem Helm zu sehen, eine enge Freundin Carry Brachvogels und Eva Gräfin von Baudissins (Foto: Stadtarchiv München).

Carry Brachvogel und Eva Gräfin von Baudissin haben beide der Münchner Frauenbewegung ihren Stempel aufgedrückt. Den ersten Allgemeinen Bayerischen Frauentag 1899 verfolgten sie jedoch nur als Zuschauerinnen. Die Ausrichtung dieses Ereignisses oblag ihren Vorgängerinnen bzw. späteren Kolleginnen im Verein für Fraueninteressen: Sie organisierten z.B. hitzige Diskussionen über den „Zweck des Mädchengymnasiums“, über die „Frau im Erwerbsleben“ oder die „Stellung der Frau im neuen Bürgerlichen Gesetzbuch“, bei denen männliche Beteiligung nicht nur akzeptiert, sondern sogar dezidiert gewünscht war. Den Höhepunkt des Kongresses bildete die Aufführung eines besonderen Theaterstücks: „Culturbilder aus dem Leben der Frau“. Zwölf Szenen führten im wilden Ritt durch die Menschheitsgeschichte vor, dass diese bislang fatalerweise nur vom Mann dominiert worden war. Dass sich dieses Bild zu wandeln begann, verdanken wir den mutigen Kämpferinnen der Frauenbewegung.

Im München der Jahrhundertwende wehte ein besonderer Wind. Die bayerische Residenzstadt galt als Zentrum von Kunst, Kultur und freiheitlichem Denken – der ideale Nährboden für die moderne bürgerliche Frauenbewegung, die ab 1894 hier Fuß fasste und für das Recht der Frau auf Bildung, Beruf und Selbstbestimmung kämpfte. In „Evas Töchter“ zeichnet die Herausgeberin Ingvild Richardsen ein eindrucksvolles Bild der damaligen Münchner Frauenrechtlerinnen. Neben Beiträgen namhafter Autorinnen und Autoren zu den historischen Hintergründen wird zum ersten Mal das Schauspiel „Culturbilder aus dem Leben der Frau“, das 1899 zum krönenden Abschluss des ersten Bayerischen Frauentags aufgeführt wurde, zusammen mit seinen Szenefotografien veröffentlicht.