Bayerische Geschichte(n), 5/2018: Münchens vergessener Architekt

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Max Ostenrieder als junger Baurat in München (Foto: Archiv der Familie Ostenrieder)

die Architektur der Münchner Prinzregentenzeit war geprägt von der „deutschen Neurenaissance“, einer Form des späten Historismus, die man heute noch an Bauten wie der Kunstakademie in München bewundern kann. Einer der Vertreter dieser Strömung und zu seiner Zeit einer der begehrtesten Architekten des Landes war Max Ostenrieder, der heute zwar in Vergessenheit geraten ist, dessen Wiederentdeckung sich aber zweifellos lohnt. 1870 als Sohn eines Metzgermeisters geboren, stellte sich früh heraus, dass der kleine Max nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten würde. Er interessierte sich für Architektur und als seine Begeisterung anhielt, ließ man ihn zunächst die Industrieschule, anschließend die renommierte Technische Hochschule in München besuchen. Seine fachliche Ausbildung zum Architekten erhielt er dennoch nicht auf akademischem Weg, sondern vor allem über die praktische Arbeit: Ostenrieder wurde zunächst Bauzeichner, bevor er eine Stelle als Bauamtsarchitekt im Bauamt München übernahm. In dieser Zeit schuf er seine ersten Entwürfe und es dauerte nicht lange, bis der bekannte Architekt Gabriel von Seidl auf ihn aufmerksam wurde, sich mit Ostenrieder anfreundete und den jungen Mann förderte.

Max Ostenrieders Privathaus am Marienplatz
Max Ostenrieders Privathaus am Marienplatz in München (Foto: Sammlung Jean Louis, München)

In den Jahren 1895 und 1900 machte sich Ostenrieder selbstständig und widmete sich ausschließlich der Architektur. Seine zahlreichen Auftraggeber schätzten an dem aufstrebenden, bald schon äußerst bekannten Architekten besonders sein Geschick, genau auf ihre je eigenen Wünsche einzugehen. Unter Ostenrieders Leitung entstanden so höchst individuelle Bauwerke. Dabei bewies er ein außergewöhnliches Gespür für Formen und vereinte in seinen Bauten die besten Elemente aus Romantik, Gotik und Renaissance. Er liebte das Spiel mit der Asymmetrie und griff gern auf reiches Skulpturenwerk zurück, mit dem er u.a. die Fassaden von Häusern der Münchner Altstadt schmückte. Sein eigenes fünfgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus direkt am Marienplatz in unmittelbarer Nähe zum Alten Rathaus war die beste Werbung für seine Baukunst: Nicht an einen fremden Bauherrn gebunden, ließ Ostenrieder hier seiner Fantasie freien Lauf, setzte Stuck zur Verzierung ein und stellte historisch wertvolle Möbel auf. Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört und musste durch einen Neubau ersetzt werden, in dem sich heute die Bäckerei Rischart befindet.

Max und Asta Ostenrieder in ihrem Garten am Weßlinger See
Max und Asta Ostenrieder in ihrem Garten am Weßlinger See (Foto: Archiv der Familie Ostenrieder)

Im Privaten zog sich Ostenrieder gerne auf seine kleine „Insel“ bei seinem Haus am Weßlinger See zurück. Mit seiner Frau Anastasia, genannt Asta, und den zwei Kindern, Max Junior und Karoline, lebte er dort während der Sommermonate in einem individuell ausgebauten Bauernhaus, das gleichzeitig gemütliches Heim, architektonisches Meisterstück und regelrechtes Schatzkästchen war. Vor allem als junger Architekt war Ostenrieder viel im ganzen Land unterwegs und brachte von seinen Baustellen an Kirchen und prachtvollen Profanbauten den einen oder anderen wertvollen Gegenstand, der dort keine Verwendung mehr fand, mit nach Hause. Zwischen Weßling und Inning ging Ostenrieder mit Vorliebe auf die Jagd und gab in seinem eigens errichteten kleinen Jagdhaus launige Gesellschaften. Große Veranstaltungen mied er allerdings aufgrund seiner angeborenen Narkolepsie, einer Krankheit, die dazu führte, dass er in den unpassendsten Momenten einschlief. Sein hohes Ansehen litt darunter keineswegs – Ostenrieder erhielt von König Ludwig III. sogar den Titel und Rang eines Königlichen Rates und Landrates. Am 23. März 1917 starb Max Ostenrieder im Alter von 47 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls.

Max Ostenrieder prägte durch seine Wohn- und Geschäftshäuser in der Altstadt und die Villen am Stadtrand das Bild Münchens im späten 19. Jahrhundert. Sein beeindruckendes Schaffen reichte von der Franziskaner-Festhalle auf dem Oktoberfest bis zur Sommerresidenz des luxemburgischen Großherzogs. In „Max Ostenrieder – Ein Münchner Architekt an der Schwelle zur Neuzeit“ vereint Autor Jean Louis Schlim gekonnt Ostenrieders Lebensgeschichte, die Historie seiner Bauwerke und Münchner Architekturgeschichte in einem umfangreich bebilderten Band.