Bayerische Geschichten 28/2020: Adele Spitzeder und die Macht des Geldes

Liebe Leserin, lieber Leser,

Völlig abgebrannt und auf der Flucht vor ihren Berliner Gläubigern kehrt die erfolglose Schauspielerin Adele Spitzeder 1868 nach München zurück. Ohne Geld und ohne Mäzen befindet sie sich in einer aussichtslosen Situation. Da kommt Adele eine scheinbar geniale Geschäftsidee: Mit dem Versprechen, weitaus höhere Zinsen als Banken und Sparkassen auszuschütten, leiht sie sich Geld; die anstehenden Rückzahlungen begleicht sie aus den neu zufließenden Geldern. Schnell spricht es sich herum, dass bei der Spitzederin leichtes Geld zu verdienen ist. Tausende von Anlegern aus allen Gesellschaftsschichten strömen ihrer „Dachauer Bank“ zu. Innerhalb kürzester Zeit wird Adele zu einer der reichsten Frauen Bayerns. Wer aber war die skandalumwitterte Adele Spitzeder? Bhavya Heubisch zeichnet in ihrem Roman das Bild einer facettenreichen Frau, die ganz München in ihren Bann schlug.

 

Am Frauenplatz stieß sie die Tür zum „Goldenen Licht“ auf und setzte sich an einen Tisch. „Alois, einen Enzian. Einen doppelten.“

Alois warf den Lappen hin, mit dem er den Zapfhahn polierte. „Willst wieder anschreiben lassen?“

„Heut zahl ich gleich.“ Sie kippte den Schnaps hinunter. […]

„Bring mir noch einen.“

„Heut bist aber durstig.“ Alois stellte ihr noch einen Doppelten hin und schlurfte zurück hinter den Tresen.

„Zum Wohl, du armes Luder!“ Adele prostete dem ausgestopften Hirschkopf zu, der mit glasigen Augen von der getäfelten Wand stierte. Sonst war niemand da zum Anstoßen. Ein paar Männer grölten beim Schafkopf, klatschten die Karten auf den Tisch. Für sie interessierte sich keiner.

Wie sollte es nur weitergehen? Nur noch vierzig Gulden hatte sie und einen ganzen Monat Mietrückstand beim Bögner. Alles hatte sie dem verranzten Wucherer schon hingetragen: die silbernen Löffel, ihren letzten Schmuck. Und was am schlimmsten war: die goldene Kette, ein Erbstück ihres Vaters. Ganze dreißig Prozent Zins schlug der Blutsauger auf die Auslösesumme. Sie zog die zerknitterten Pfandscheine aus der Tasche, wendete sie hin und her, strich sie mit dem Fingernagel glatt.

Die Zinsen! Warum war sie da nicht früher draufgekommen? „Alois, setz dich her zu mir. Ich hab eine Idee.“

Der Wirt ließ sich nieder, zog einen Tabakbeutel aus der Hosentasche, stopfte die Pfeife mit billigem Verschnitt. „Willst doch wieder anschreiben lassen?“

„Nix da. Pass auf: Wenn du mir zehn Gulden leihst, zahl ich sie dir nach einem Monat zurück und obendrauf noch zwanzig Prozent Zinsen. Ich zahl dir also insgesamt zwölf Gulden zurück. Dann hast zwei Gulden verdient fürs Nixtun.“

„Eine dümmere Idee hast nicht? Weißt es genau: Ohne Arbeit kein Geld.“

„Mit Arbeit wirst nicht reich. Spekulieren musst. Probier’s aus. Zwei Gulden kriegst für umsonst. Und wennst mir fünfzig Gulden leihst, kriegst nach vier Wochen sechzig zurück. Nur fürs Hinwarten, dass dein Geld mehr wird.“ […]

Bedächtig zog der Alois an seiner Pfeife. Zwei Gulden für umsonst, das wär schon was. Die Kinder brauchten dringend neue Schuhe. Beim Jüngsten bohrten sich schon die Zehen durchs Leder. Alois gab sich einen Ruck und ging hinter den Tresen. Auf dem untersten Brett, ganz hinten zwischen den Handtüchern und den leeren Senfgläsern hatte er sie versteckt, die Schachtel mit der letzten Reserve. Er zögerte, dann nahm er zwanzig Gulden heraus und ging zurück an den Tisch […] Zögernd schob er Adele die zwanzig Gulden hin. „Mehr hab ich nicht. Aber eins sag ich dir: Wennst nicht pünktlich zahlst, dann kannst was erleben.“ Lächelnd strich sich Adele die Locken aus dem Gesicht. „Wart’s ab.“