Bayerische Geschichte(n), 27/2017: Vom „Matratzenmacher“ zum „Hof-Möbelfabrikanten“

Das Hotel Max-Emanuel musste dem „Ballin-Haus“ weichen. Hier kurz vor dem Abbruch, 1909 (Fotos: Stadtarchiv München)

Liebe Leserin, lieber Leser,

das imposante Gebäude am Promenadeplatz 9, gleich gegenüber vom Hotel Bayerischer Hof, kann auf eine über hundert Jahre alte Geschichte zurückblicken. Entstanden ist es im Jahr 1909 als „Geschäftshaus mit Ausstellungsräumen“ der Hof-Möbelfabrik M. Ballin oHG. Der Gründer dieser renommierten Firma, die für die Inneneinrichtung einer Vielzahl von Hotels, Warenhäusern, Banken und sogar Ozeandampfern verantwortlich zeichnete, war der aus Limburg an der Lahn stammende Moritz Ballin. Gemeinsam mit seiner Frau Minna siedelte der jüdische Handwerker 1864 nach München um. Als „Matratzenmacher“ arbeitete er in einem zukunftsträchtigen Gewerbe, denn seit Mitte des 19. Jahrhunderts verdrängten in den wohlhabenden Haushalten mehr oder weniger komfortable Rosshaar-Matratzen die bis dahin üblichen, mit Stroh gefüllten Polster.

Das neue „Ballin-Haus“ im Festschmuck zum 90. Geburtstag des Prinzregenten Luitpold, 1911

Das Geschäft florierte und zehn Jahre später firmierte Moritz Ballin bereits unter der Bezeichnung „Tapezierer“, was in etwa dem heutigen Beruf des Raumausstatters entspricht. Er profitierte nicht zuletzt davon, dass das Münchner Bürgertum seine Wohnungen zunehmend mit hochwertigen Möbeln ausstattete. 1887 wurde die Firma Ballin schließlich zum königlich bayerischen Hoflieferanten ernannt. Nachdem sich Moritz Ballin aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen hatte, übernahmen ab 1901 seine Söhne Louis, Martin und Robert die Leitung des Unternehmens. Unter ihrer Führung erfolgte auch der Bau der prächtigen Firmenzentrale am Promenadeplatz, in der sich nicht nur zahlreiche Ausstellungsräume, sondern auch die Büros und Werkstätten befanden. Erst mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs begann sich die Bilanz einzutrüben: Die Nachfrage nach Luxusmöbeln sank und das internationale Geschäft stagnierte.

Der Promenadeplatz vor dem Ersten Weltkrieg

Die Weltwirtschaftskrise und erste nationalsozialistische Boykottaktionen verschärften die Krise des Möbelherstellers, der sich nur noch mit Mühe über Wasser halten konnte. Als 1933 schließlich die Nationalsozialisten an die Macht kamen, hatte die Firma keine Chance mehr. Im Zuge der „Arisierung“ musste das Unternehmen verkauft werden, wobei es gelang, den Besitz „einigermaßen angemessen“ zu veräußern. Dies war der Hilfe zu verdanken, die Robert Ballin und seine Frau Bella im Jahr 1923 Hermann Göring gewährt hatten: Als SA-Führer beim Hitler-Ludendorff-Putsch schwer verletzt, war dieser vor der Polizei in deren Wohnung geflüchtet. Bella Ballin leistete Erste Hilfe und rettete Göring damit das Leben. Auch als die Familie nach dem Novemberpogrom 1938 ins KZ Dachau deportiert wurde, intervenierte Göring, woraufhin die Ballins wieder frei kamen. 1942 konnten sie über die Schweiz und Südamerika in die USA emigrieren.

Von alten Häusern geht ein Zauber aus, der neugierig macht: Wer hat das Gebäude errichten lassen? Wer hat hier einst gewohnt, wie wurde hier gewirtschaftet? Mitten im Münchner Kreuzviertel, am Promenadeplatz 9, befindet sich ein Eckgrundstück, das auf eine besonders bewegte Bebauungsgeschichte zurückblicken kann. Heidrun Edelmann präsentiert diese wechselvolle, eng mit der Vergangenheit Münchens verwobene Hausgeschichte mithilfe von umfangreichem, zum Teil bislang unveröffentlichtem Bildmaterial und verschafft dem Eckhaus dadurch eine Identität, die seine steinerne Architektur allein niemals stiften könnte.