Bayerische Geschichte(n), 19/2015: Bewohner und Bewahrer

Stimmungsvolle Bilder einer eindrucksvollen Stadtlandschaft: Blick über das ehemalige „Frauendorf“. (Foto: Nick Frank)
Stimmungsvolle Bilder einer eindrucksvollen Stadtlandschaft: Blick über das ehemalige „Frauendorf“. (Foto: Nick Frank)

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Bewohner des Olympiadorfes verstehen sich, wohl mehr als die Bewohner anderer Münchner Stadtviertel, als eine besondere Gemeinschaft – vielleicht nicht zuletzt aufgrund der einzigartigen Geschichte und Architektur des Dorfes: Wie ein See wirkt die Flachsiedlung des olympischen Frauendorfes, hinter der sich das Gebirge des Männerdorfes in drei Wellen auftürmt. Vielbefahrene Straßen sucht man hier vergebens – die Infrastruktur ist zweigeteilt, Fußgängerwege und Straßen sind auf zwei verschiedenen Ebenen streng voneinander getrennt. Nicht Autos, sondern Bäume säumen die Wege, hängende Gärten schwingen sich von den grauen Betonwänden und Brunnen sprudeln munter vor sich hin.

Die Betonwüste blüht: Mitten in der Stadt können die Kinder im Grünen spielen. (Foto: Christian Vogel)
Die Betonwüste blüht: Mitten in der Stadt können die Kinder im Grünen spielen. (Foto: Christian Vogel)

Für die Wahlolympianerin Susanne Dressler hat die Lebens- und Wohnqualität im Olympiadorf die Höchstpunktzahl verdient: eine glatte Zehn. Die Siedlung am Rande Milbertshofens bietet ihr mit all ihren Eigenheiten ein perfektes Lebensumfeld. Die Mutter von vier Kindern ist vor knapp zehn Jahren in die sogenannte „Rote Stadt“ gezogen, für sie der schönste Platz im Olympiadorf, dem schönsten Viertel in München. Ihre Kinder können hier einfach Kinder sein: Draußen spielen, bis es dunkel wird, oder sich mit Freunden treffen, und zwar im Grünen ohne gefährlichen Autoverkehr. Und das mitten in der Großstadt. Kein Wunder also, dass sich die meisten Olympianer in „ihr“ Dorf verliebt haben.

Das Farbleitsystem (hier Connollystraße) das den Sportlern die Orientierung erleichtern sollte, findet sich im ganzen Dorf wieder. (Foto: Nick Frank)
Das Farbleitsystem (hier Connollystraße), das den Sportlern die Orientierung erleichtern sollte, findet sich im ganzen Dorf wieder. (Foto: Nick Frank)

Susanne Dressler kennt allerdings auch die Kehrseite der Medaille: Das Olympiadorf ist ihrer Meinung nach ein „Unort“. Kaum einer kennt die versteckte Idylle am Rande des Olympiaparks. Wenn nicht gerade Freunde oder Bekannte zu einem Besuch einladen, verschlägt es nur wenige in diesen eigentlich gar nicht so abgelegenen Winkel Münchens. Eine der Ursachen dafür sieht Susanne Dressler in dem Widerwillen vieler Bewohner, sich von dem bewährten Alten ab und der Moderne zuzuwenden. „Sie sehnen sich nur zurück nach den guten alten Zeiten.“ Doch vielleicht stellt gerade diese nostalgische Lebenshaltung nicht nur ein Problem, sondern auch zugleich den Charme des kleinen Dörfchens dar.

Anne Berwanger, Nick Frank und Christian Vogel porträtieren das Olympiadorf und seine Bewohner. Uli Walter (Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege) erläutert in seinem architekturhistorischen Aufsatz die „Utopia München 1972“. Mit diesem eindrucksvollen Bildband ist es gelungen, in Fotografie und Text einzufangen, was das Olympiadorf nach Ansicht seiner Bewohner ausmacht: ein außergewöhnliches Lebensgefühl, das aus einer außergewöhnlichen Architektur erwächst.