Bayerische Geschichte(n), 18/2013: Unter den Augen der Welt

Der Mensch sollte winzig erscheinen angesichts der nationalsozialistischen Propaganda-Architektur: Fünf Meter hoch sind die monumentalen Skulpturen an den Innenseiten der Turmpaare am Skistadion in Garmisch-Partenkirchen.
Der Mensch sollte winzig erscheinen angesichts der nationalsozialistischen Propaganda-Architektur: Fünf Meter hoch sind die monumentalen Skulpturen an den Innenseiten der Turmpaare am Skistadion in Garmisch-Partenkirchen.

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Welt blickte nach Deutschland: Der Zuschlag für die XI. Olympischen Sommerspiele 1936 war nach Berlin gegangen, verbunden mit der Austragung der Winterspiele im selben Jahr in einem deutschen Wintersportort. Dieser Ort freilich wurde mit der zwangsweisen Vereinigung der beiden Gemeinden Garmisch und Partenkirchen am Fuß der Zugspitze erst geschaffen. Kernstück der IV. Winterspiele sollte das halbkreisförmige Skistadion werden, für das Arthur Holzheimer den Entwurf lieferte. Es stellte mit seiner Größe alles Vergleichbare in den Schatten und der Besucherrekord von 130.000 Besuchern ist bis heute ungebrochen für eine Wettkampfveranstaltung bei Olympischen Winterspiele.

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Die Größenverhältnisse aus der Luft: Auch die in jüngerer Zeit errichteten modernen Skischanzen münden in das denkmalgeschützte Stadion aus dem Jahr 1936.
Die Größenverhältnisse aus der Luft: Auch die in jüngerer Zeit errichteten modernen Skischanzen münden in das denkmalgeschützte Stadion aus dem Jahr 1936.

Den neuen Machthabern in Deutschland boten die Olympischen Spiele eine ideale Plattform für Propaganda. Mit ihrer gigantomanischen Architektur, der perfekten Organisation und sportlichen Superlativen wollten sie der Welt das „neue“ Deutschland präsentieren. Für das nationalsozialistische Regime waren die IV. Olympischen Winterspiele aber vor allem die Generalprobe für die folgenden Sommerspiele in der Reichshauptstadt. Während die Stadionbauten für die geplanten Winterspiele von 1940 noch erweitert und im Osten und Westen durch zwei Turmpaare ergänzt wurden, zwischen denen die Olympioniken einlaufen sollten, ist das zentrale sogenannte „Olympiahaus“ mit der Gaststätte und dem Aufenthaltsraum für den „Führer“ noch im Zustand von 1936 erhalten. Als Zeugen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft stehen die Gebäude heute unter Denkmalschutz.

Der rückgebaute Schwurgerichtssaal 600: Neben der kleinen Tür hinter der Anklagebank, die zu einem Aufzug und von dort ins benachbarte Zellengefängnis führte, ist auch der imposante Haupteingang aus dem Jahr 1916 erhalten.
Der rückgebaute Schwurgerichtssaal 600: Neben der kleinen Tür hinter der Anklagebank, die zu einem Aufzug und von dort ins benachbarte Zellengefängnis führte, ist auch der imposante Haupteingang aus dem Jahr 1916 erhalten.

Knapp zehn Jahre später blickte die Welt aus einem ganz anderen Grund nach Deutschland: Im Schwurgerichtssaal 600 im Nürnberger Justizpalast saßen ranghohe Nationalsozialisten wie Hermann Göring, Rudolf Hess und Albert Speer auf der Anklagebank. Zum ersten Mal in der Geschichte der Rechtsprechung mussten sich die Vertreter eines Staates für ihre Verbrechen vor einem internationalen Gericht verantworten. Vor allem wegen der günstigen Sicherheitsbedingungen war die Wahl der Alliierten auf das Nürnberger Gerichtsgebäude in der mittelfränkischen Stadt gefallen. Für mehr als 6 Millionen US-Dollar wurde es umgebaut und durch eine Zuschauertribüne, einen Pressebereich sowie Dolmetscherkabinen erweitert. Der Hauptkriegsverbrecherprozess wurde am 20. November 1945 eröffnet, bis 1949 folgten zwölf weitere. Betritt man den holzvertäfelten Raum heute, so ist man vor allem von seiner bescheidenen Größe überrascht.

Kugellampen, Sichtbeton und Teppichboden: Ein Besuch im „Tantris“ ist eine Zeitreise in die siebziger Jahre.
Kugellampen, Sichtbeton und Teppichboden: Ein Besuch im „Tantris“ ist eine Zeitreise in die siebziger Jahre.

Das Skistadion in Garmisch und der Schwurgerichtssaal in Nürnberg sind nur zwei der insgesamt fünfzig ungewöhnlichen Denkmäler, die Bayerns Generalkonservator Egon Johannes Greipl auf der dritten Etappe von „Der Geschichte auf der Spur“ vorstellt. Als „Zeitreiseführer“ begleitet es durch alle Epochen – bis in die bunten siebziger Jahre: Auch der legendäre Gourmettempel „Tantris“ im ebenso legendären Stadtteil Schwabing steht seit 2012 unter Denkmalschutz. Der Ruf des „Tantris“ gründet nicht nur auf der Erlesenheit der dort servierten Speisen und der Gästeliste, sondern auch auf der ebenso kühnen wie flauschig-sinnlichen Inneneinrichtung.