Bayerische Geschichten 18/2021: Stammtischbruder und Enfant terrible: Ludwig Thoma

Liebe Leserin, lieber Leser,

Ludwig Thoma und die bayerische Literatur gehören untrennbar zusammen. Schon zu Lebzeiten wurde der studierte Jurist zum „Bayerndichter“ geadelt, schuf Kultfiguren wie den Engel Aloisius und machte auf sämtlichen medialen Kanälen von sich reden. Acht Autorinnen und Autoren nehmen die vielen Facetten Thomas anlässlich seines 100. Todestages neu in den Fokus: Stammtischbruder und Enfant terrible, Narzisst und Liebessuchender, Heimatdichter mit Stallgeruch und politischer Agitator mit dunkler Agenda.

Einsam schreiben, gemeinsam feiern: Beim „Ganghofer-Schießen“ in Finsterwald am 2. und 3. Juli 1905 traf Ludwig Thoma (sitzend, 2. von links) mit seiner Frau Marion (rechts daneben) auf Ludwig Ganghofer (stehend, rechts oben) (Foto: Monacensia/LT F XIX).

Zur Hochzeit seines Schaffens bildete Ludwig Thoma zusammen mit Ludwig Ganghofer und Georg Queri das berühmt-berüchtigte Dreigestirn bayerischer Literatur: Wer Bayern verstehen wollte, las die Texte dieser drei Herren. Doch nur ein einziges Mal haben sie sich zu dritt am gleichen Ort aufgehalten. Als Queri für sein „Kraftbayrisch“, eine volkskundliche Arbeit zum Derbsten, aber auch Kraftvollsten, was die bairische Mundart zu bieten hat, vor Gericht erscheinen musste. Selbstverständlich setzten sich Ganghofer und Thoma für den Angeklagten ein, denn sie waren jeweils mit ihm in enger Freundschaft verbunden. Thoma verfasste ein Gutachten: „Aus Prüderie – denn die Sittlichkeit hat mit diesem ganzen Aufpassertum nicht das mindeste zu tun – eine Sammlung alter und neuer Kraftworte […] unterdrücken, heißt wirkliche Volkskunde verbieten.“

 

Max Slevogt schuf 1904 das „Bildnis der Tänzerin Marietta di Rigardo“, Öl auf Leinwand (bpk/Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Foto: Ursula-Maria Hoffmann).

So loyal Ludwig Thoma dem Freund Queri beistand, so wenig treu zeigte er sich in Sachen Liebe. Was die Frauen betraf, war Thoma wahrlich kein Kostverächter. Seine eigenen Aufzeichnungen verraten, wie er schon als Schuljunge lieber den Mädchen nachstieg als sich für den Unterrichtsstoff zu interessieren. Die schlimmste Demütigung: Ein vom Lehrer abgefangener und vor der gesamten Klasse vorgelesener Liebesbrief! Doch davon ließ sich Thoma nur für den Moment bremsen. Für den Studenten und jungen Autor war die Welt voller potenzieller Heiratskandidatinnen – je höher die Mitgift, umso besser. Zur Ehe hinreißen ließ er sich schließlich von der schönen Tänzerin Marietta di Rigardo, von Thoma zärtlich Marion genannt. Wie stark die Anziehungskraft zwischen den beiden gewesen sein muss, zeigt sich in der „Wilden Ehe“, die sie nach der offiziellen Scheidung jahrelang weiterführten.

 

Werbeplakat für die Deutsche Vaterlandspartei, für die Thoma in seinen letzten Jahren die Werbetrommel rührte (bpk/Deutsches Historisches Museum, Berlin).

Die große Liebe in Thomas Leben war allerdings eine andere: Maidi von Liebermann, geborene Feist-Belmont. Auch fast 20 Jahre Altersunterschied konnten den 37-jährigen Dichter nicht davon abhalten, sich Hals über Kopf in die feinsinnige junge Frau zu verlieben. Thoma schrieb Briefe in einem unablässigen Stakkato, brachte fast stündlich Liebesschwüre zu Papier. Doch die Beziehung sollte von ihrer Seite nie über ein Strohfeuer hinausgehen. Thoma bleib für die relative Einseitigkeit seiner Leidenschaft blind oder wollte sie nicht wahrhaben. Noch kurz vor seinem Tod setzte er Maidi als Universalerbin ein – was der Frau jüdischen Glaubens unter dem nationalsozialistischen Terrorregime das Leben retten sollte: Ihr Status als Verwalterin und Besitzerin des Werk von genau jenem Mann, der in seinen letzten Lebensjahren als politischer Agitator fragwürdigster Sorte auffällig geworden war, im Miesbacher Anzeiger u.a. antisemitisch gehetzt hatte, schützte sie nun vor dem Konzentrationslager.