Bayerische Geschichte(n), 06/2016: Münchner Kindl und Schrapnell-Granate
Liebe Leserin, lieber Leser,
„WER NIE MIT EINER VOLLEN MAASS / AUF EINEM MÜNCHNER KELLER SASS / DER WEISS NICHT WAS VOR ANDEREN VÖLKERN / DER LIEBE GOTT DEN BAYERN GAB.“ Der Bierkrug mit dieser Aufschrift, einem Bild der Stadtsilhouette und dem Münchner Kindl auf dem Zinndeckel war im ausgehenden 19. Jahrhundert ein beliebtes Souvenir aus München. Wer es lieber ein wenig ausgefallen wollte, der konnte das Münchner Kindl als Figurenkrug kaufen – oder einen graugrün glasierten Krug, der detailgetreu einer Schrapnell-Granate nachgebildet war. Einschlägige Geschäfte fanden sich in den Straßen rund um das Rathaus, auch neben dem Eingang zur Mathäser-Bierhalle in der Nähe des Bahnhofs gab es eine solche Fachhandlung für Bierkrüge, in der man auch Sonderanfertigungen in Auftrag geben konnte. Kaum bekannt ist allerdings, dass das typisch münchnerische „Bierkrugveredelungsgewerbe“ fest in jüdischer Hand war.
So hatten etwa Josef Salomon Thannhäuser und sein jüngerer Halbbruder Albert im Jahr 1882 ein Geschäftslokal im Rosental angemietet, 1891 übersiedelten sie in die Kaufingerstraße. „Brüder Thannhäuser – Glas- und Porzellanwaarenhandel“ stand auf ihrem Ladenschild. Ihre Spezialität waren Bierkrüge, die sie an die großen Münchner Brauereien oder als Souvenir für Kongresse und Festivitäten, vor allem aber auch für den Export nach Übersee produzierten. Im Hinterhof ihres Ladens betrieben sie eigene Werkstätten für Porzellanmalerei, Zinngießerei und die Montage von Krug und Deckel. Möglich geworden waren solche innovativen Handwerksbetriebe 1868 durch den Erlass der Gewerbefreiheit im Königreich Bayern. Die findigen Brüder Thannhäuser hatten wie zahlreiche andere Zuzügler aus den jüdischen Landgemeinden in Franken und Schwaben die Zeichen der Zeit erkannt und gestalteten Bierkrüge für jeden Geschmack.
Bis in die 1860er Jahre hatte es nur ganz gewöhnliche Steinkrüge ohne jeglichen Schmuck gegeben. Ab 1880 entwickelten die Westerwälder Steingut-Manufakturen innerhalb weniger Jahre neue Techniken für Herstellung und Dekoration. Insbesondere der Guss in Ganzgefäßformen öffnete auch geschmacklichen Verirrungen Tür und Tor: Es gab nun Krüge mit dem Kopf Bismarcks oder eines Corps-Studenten mit „Schmiss“, schließlich Figurenkrüge in Form eines Schweinchens oder eines Turms der Frauenkirche mit der welschen Haube als Deckel – und natürlich immer wieder das Münchner Kindl, aus dessen Bauch das Bier offensichtlich besonders gut schmeckte. Aber nicht alles, was über die Ladentheke ging, war Kitsch. Auch die Brüder Thannhäuser reagierten um die Jahrhundertwende auf das nachlassende Interesse an humoristischen Figurenkrügen und altdeutschen Steinzeugkrügen, indem sie renommierte Münchner Künstler verpflichteten. Auch Ludwig Hohlwein und Emanuel von Seidl entwarfen nun hübsche Jugendstil-Motive für Bierkrüge.
Das Bayerische Reinheitsgebot feiert 2016 seinen 500. Geburtstag. Das Jüdische Museum München nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, Geschichte und Gegenwart des Biers in der jüdischen Tradition und Kultur zu beleuchten. Die Ausstellung „Bier ist der Wein dieses Landes“ ist vom 13. April 2016 bis 08. Januar 2017 im Jüdischen Museum am St.-Jakobs-Platz in München zu sehen. Die Jüdische Braugeschichte in all ihren Facetten stellt auch das gleichnamige Buch zur Ausstellung dar.