Bayerische Geschichten 01/2025: Feldafing im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit
Lieber Leserinnen und Leser,
die Geschichte Feldafings ist geprägt von großen Transformationen: Zunächst wurde aus dem Bauerndorf ein international gefragter Fremdenverkehrsort, dann siedelte sich in der NS-Zeit eine NS-Eliteschule an und nach 1945 entstand hier ein Camp mit bis zu 6.000 jüdischen KZ-Lagerüberlebenden, den Displaced Persons. 1956 übernahm die Bundeswehr Teile des Geländes und Feldafing wurde wieder ein Touristenort. Die Einheimischen mussten sich mit den Veränderungen irgendwie arrangieren. Marita Krauss und Erich Kasberger dokumentieren in „Traum und Albtraum“ die besondere Vergangenheit des Ortes am Starnberger See, machen dabei die höchst unterschiedlichen Perspektiven spürbar und leiten daraus Fragen für heute ab.

Die Lage am See, die Villenkolonie, das Strandbad, der Golfplatz und die Tennisanlage – Feldafing konnte mit zahlreichen Attraktionen glänzen. Das besondere internationale Flair, das der Ort damit ausstrahlte, weckte auch das Interesse der NS-Größen: Feldafing wurde 1934 von SA-Chef Ernst Röhm dazu bestimmt, Sitz der N.S.D.-Oberschule Starnberger See, später Reichsschule der NSDAP, zu werden. Hier sollte eine Elite im Geiste der NS-Ideologie herangebildet werden, die „aus allen Schichten des Volkes“ ausgewählt wurde. Mit Druck und Geld erwarb die NSDAP fast die Hälfte der Feldafinger Villen, in die nun die zukünftigen NS-Eliteschüler einzogen. Zusätzlich baute die Partei auf dem Gelände westlich der Staatsstraße nach Tutzing in einem ersten Bauabschnitt acht Sturmblockhäuser zur eher kasernenmäßigen Unterbringung der Schüler. Weitergehende Pläne, die den Ort Feldafing mit einer monumentalen und weithin landschaftsprägenden NS-Repräsentationsarchitektur überformt hätten, wurden nicht verwirklicht.

Als die Schule am 1. April 1934 eröffnet wurde, gab es sechs Klassen mit je 30 bis 33 Schülern, dazu zwölf Erzieher. Nach einigen Jahren wuchs die Oberschule mit rund 500 Schülern, Lehrern und Personal zu einem eigenen Ortsteil heran. Schulleitung wie Lehrer entwickelten für die N.S.D.-Oberschule Feldafing ein eigenes Schulmodell, ohne verbindliche Lehrpläne, ohne Schulzensuren. Das Abitur bestand aus einer schriftlichen Arbeit, die der Schüler selbst frei wählen konnte; mitbewertet wurde die Jahresleistung. Umsorgt von Dienstpersonal und ausgestattet mit jedem Luxus an Sportmöglichkeiten, konnten sich die Schüler nicht ohne Grund als die zukünftigen „Herrenmenschen“ fühlen. Das Prestigeprojekt Reichsschule war in die höchste Parteispitze eingebunden. So kamen etliche NS-Größen zu Besuch und Martin Bormann, Julius Streicher sowie Hermann Esser schickten auch ihre Söhne auf die Schule.

Als sich der Krieg dem Ende näherte, löste sich die Reichsschule auf, die Schüler wurden nach Hause oder noch an die letzten Fronten geschickt. Da die Gebäude der Reichsschule leer standen, quartierten die amerikanischen Besatzer die Überlebenden des Todeszugs hier ein, welche sie im Tutzinger Bahnhof nach einer Irrfahrt durch das Oberland befreit hatten. Nach einigen Wochen kamen die Überlebenden der anderen Zugteile hinzu, die in Seeshaupt und Staltach gelandet waren, ebenso ehemalige KZ-Häftlinge, die Todesmärsche überstanden hatten. Feldafing entwickelte sich zu einem Zentrum der Displaced Persons und es entstand eines der größten Auffanglager für die Ärmsten der Armen, für die KZ-Überlebenden. Zeitweise waren in den Gebäuden und Baracken der Reichsschule und in 40 Feldafinger Villen – die Bewohnerinnen und Bewohner mussten ihre Häuser räumen und in andere Orte ziehen – bis zu 6.000 Displaced Persons einquartiert. Erst Anfang der 1950er Jahre wurde das Camp aufgelöst und das Leben in Feldafing begann sich zu normalisieren.
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ISBN: 978-3-86222-504-0 €39,90