Bayerische Geschichten, 01/2021: Werte sind Fundamente

Liebe Leserin, lieber Leser,

Werte sind das Fundament einer jeden Gesellschaft. Sie zeigen sich im Alltag und bestimmen unser Leben – im privaten wie im öffentlichen Bereich. Sie dienen als Wegweiser in einer Welt, die durch zahlreiche Herausforderungen wie den Klimawandel, die Flüchtlingsfrage oder die Corona-Pandemie bestimmt ist. Es ist also wieder an der Zeit, Diskussionen über diese Grundlagen unseres Zusammenlebens, über die Basis von Bildung, Kultur und Politik anzustoßen. Renommierte Autorinnen und Autoren aus Politik, Wissenschaft und Kultur (Heinrich Bedford-Strohm, Charlotte Knobloch, Dieter Reiter, Julian Nida-Rümelin, Luise Kinseher, Ilse Aigner u.a.) gehen in Essays und Interviews der Bestimmung von Werten nach, beleuchten deren Konfliktpotenzial und die Notwendigkeit einer zeitgemäßen Interpretation.

Reinhard Kardinal Marx (Foto: Erzbischöfliches Ordinariat München/Lennart Preiss)

Angesichts der großen Tragweite, die Werte für das Leben insgesamt haben, überrascht es nicht, dass sich in nahezu allen Länderverfassungen dieser Erde grundlegende Ausführungen dazu finden. Das gilt auch für die Bayerische Verfassung und vor allem für ihren Artikel 131, da dieser die obersten Bildungsziele festschreibt und damit einen expliziten Katalog an Werten enthält. In Absatz 3 des Artikels wird unter anderem die „Ehrfurcht vor Gott“ und die „Achtung vor der religiösen Überzeugung“ erwähnt. Für Reinhard Kardinal Marx gilt dieses Bildungsziel nicht nur für die Religionslehrkräfte, sondern für „alle am Bildungsgeschehen Beteiligten“. Kinder und Jugendliche sollen in der Schule „eine gute und tragfähige Grundlage für ihr Leben erhalten“. Das setzt unter anderem eine Bereitschaft seitens der Lehrerinnen und Lehrer voraus, den Schülerinnen und Schülern „Zugänge zur ganzen Welt“ zu ermöglichen. Ihnen soll Toleranz gegenüber anderen Religionen, aber auch Respekt denjenigen gegenüber, „die ihr Leben in einer religiösen Dimension deuten, religiöse Überzeugungen haben und leben“, vermittelt werden.

Bruno Jonas (Foto: Ralf Wilschewski)

Den Kabarettisten Bruno Jonas veranlasst hingegen der Wert der Selbstbeherrschung, der ebenfalls im Artikel 131, Absatz 3 angeführt wird, zu näheren Überlegungen. Dabei ist das mit der Selbstbeherrschung gar nicht so einfach, wie schon ein Blick in die Bibel zeigt: So erzürnte der Anblick des auserwählten Volkes, das um das goldene Kalb tanzte, Moses so sehr, dass er die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten zerschmetterte, sich also selbst nicht unter Kontrolle hatte. Was aber ist eigentlich dieses Selbst? Und gibt es spezielle Formen eines bayerischen Selbst? Bestenfalls ist das Selbst im Erwachsenenalter zu vernünftigen Entscheidungen fähig. Einer typisch bayerischen Selbstbeherrschung geht aber immer eine gewisse Unbeherrschtheit voraus – der berühmte Grant, ein „zentraler Gefühlskern“ in der bayerischen Seele. Er ist für die mal mehr, mal weniger heftige Ausprägung sämtlicher Stimmungen, zu denen wir fähig sind, verantwortlich.

Harald Lesch (Foto: Gerald von Foris)

Natur- und Umweltschutz – ebenfalls im Wertekanon des Artikels 131 enthalten – genießen in unserer Gesellschaft laut dem Astrophysiker, Philosophen und Wissenschaftsjournalisten Harald Lesch keinen besonders hohen Stellenwert, wichtig scheint allein die „Durchsetzung von ökonomischen Interessen“. Dass viel mehr Menschen in den Bereichen Finanzen und Wirtschaft arbeiten als in Umwelt- und Naturschutz, ist bezeichnend. Natur und Umwelt werden als Ressource betrachtet, an der man sich unbegrenzt bedienen kann – ungeachtet der Tatsache, dass dadurch ganze ökologische Systeme unwiederbringlich zerstört werden. Natur gilt heute als reiner Rückzugsort, als Kulisse, deren Oberfläche ausreicht, um die Menschen zufriedenzustellen. „Wer Natur zerstört, zerstört die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen“ – aus diesem Grund muss dem Umweltschutz in der Bayerischen Verfassung eine maßgebliche Bedeutung zugeschrieben werden.