Bayerische Geschichten 09/2025: Pia Traxl und der Tote in Zimmer 337
Liebe Leserinnen und Leser,
nachdem sich Kriminalhauptkommissarin Pia Traxl und ihre neue Kollegin, das Nordlicht Bentje Schammach, für den Fall des „toten Lebemanns“ erst noch zusammenraufen mussten, sind sie inzwischen ein eingespieltes Team. Ein Leichenfund in einem Münchner Nobelhotel ist für die beiden auf den ersten Blick also nichts Besonderes. Aber wie kann es sein, dass der ermordete Rechtsanwalt plötzlich quicklebendig im Frühstücksraum sitzt? Wer ist dann der Tote in seinem Hotelzimmer?
Als schließlich noch ein weiteres Mordopfer aufgefunden wird und eine Fehde zwischen verfeindeten Clans im Autotuning-Milieu aus dem Ruder zu laufen droht, sind außergewöhnliche Schritte des ungleichen Ermittlerduos gefragt. Am Ende müssen sie erkennen: Der „linke Rechtsanwalt“ ist nicht der, der er auf den ersten Blick zu sein scheint …
Leseprobe
„Herr Elrik Garstner?“
Wir waren an den bezeichneten Tisch herangetreten. Der Mann lud gerade seinen letzten Bissen auf die Gabel.
Er blickte auf. „Ja, bitte?“
Bentje glotzte ihn mit dümmlichem Gesichtsausdruck an. Bestimmt gab ich selbst kein intelligenteres Bild ab.
Der Mann vor uns hatte kurz geschnittenes blondes Haar, ausgeprägte Koteletten, einen gezwirbelten Schnauzer. Sogar der Anzug hatte annähernd den gleichen Grauton wie der des Toten.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich mich gefasst hatte. „Sie sind Herr Elrik Garstner, Rechtsanwalt aus Ingolstadt?“
„In voller Lebensgröße.“ Er lachte gut gelaunt. Schon hatte er zwei Visitenkarten hervorgezaubert und drückte jeder von uns eine in die Hand. „Womit kann ich zwei so schönen Frauen behilflich sein?“
„Sie bewohnen das Zimmer 337 hier im Haus?“
„Anrechnung der Draufgabe. Sehr richtig.“
Beide schauten wir ihn verständnislos an.
Mit einem Schmunzeln erklärte er. „Eine Marotte von mir. So merke ich mir Zahlen. § 337 im Bürgerlichen Gesetzbuch behandelt die Anrechnung einer Draufgabe. Vielleicht könnten Sie mir jetzt verraten, was Sie von mir wünschen.“
Erneut zückte ich meinen Dienstausweis. „Traxl, Kripo München. Das ist meine Kollegin Bentje Schammach. Dürfen wir Platz nehmen?“
Er nickte. „Soll ich Ihnen Kaffee kommen lassen? Eine Kleinigkeit zum Essen vielleicht? Die Omeletts hier sind ein Gedicht.“
Irgendwie hatte es mir im Moment den Appetit verschlagen. Bentje schien es nicht anders zu gehen. Dankend lehnten wir ab.
Stattdessen holte ich die Plastiktüte mit dem Ausweis aus der Tasche und legte sie vor ihn hin.
„Mein Personalausweis. Wo haben Sie den her? Sind Sie in meinem Zimmer gewesen?“
„Wir waren in Zimmer 337, weil dort eine männliche Leiche gefunden wurde. Der Tote hatte diesen Ausweis in seiner Sakkotasche.“
Seine Miene verfinsterte sich. „Wenn das ein Scherz sein soll, dann ist er reichlich misslungen.“
Bentje stand auf. „Kommen Sie mit.“
Garstner griff nach einem Din-A4-Umschlag, der neben seinem Teller lag, und folgte uns.
In Zimmer 337 hatten sie den leblosen Körper soeben in einen Zinksarg gelegt. Unser Begleiter warf einen langen Blick auf den Toten. Als er sich uns wieder zuwandte, war er bleich wie ein frischgewaschenes Hotellaken. Sein linkes Augenlid zuckte. „Was soll das? Der sieht ja aus wie ich.“
„Kennen Sie ihn?“, wollte Bentje wissen.
Er musterte sie verwirrt, als habe er die Frage nicht verstan¬den. Dann schüttelte er stumm den Kopf. „Nein“, stammelte er. „Noch nie gesehen. Warum um Himmels willen schaut der aus wie ich?“
Er wankte und ich schob ihm einen Stuhl hin. Mit einem Stöhnen ließ er sich draufplumpsen. Da saß er dann wie vom Donner gerührt und stierte auf die Auslegeware.
Wir gaben ihm zwei Minuten, seiner Verwirrung Herr zu werden. Wenn ich ehrlich sein sollte, hatten wir selbst auch allerhand zu verarbeiten. Der Fall versprach spannend zu werden.
Aus der Nähe betrachtet konnte man trotz der Ähnlichkeit bei der Frisur und beim Bartschmuck winzige Unterschiede ausmachen. Der Tote hatte eine kürzere Nase und dickere Backen. Viel mehr Unterschiede waren mit bloßem Auge aber nicht zu erkennen.
„Das sind hier alles Ihre Sachen?“, fragte Bentje schließlich sanft.
Der Rechtsanwalt schreckte auf wie aus einem Traum. „Wie? Jaja, meine Sachen. Natürlich.“ Er zeigte auf die Akten auf dem Schreibtisch. „Ich wollte mich noch auf die Verhand¬lung heute Mittag vorbereiten. Scheidungssache. Familiengericht. Vermutlich ist es besser, wenn ich dort absage.“
Ich nickte. „Vermutlich. Wir müssen Sie bitten, sich bis auf Weiteres zu unserer Verfügung zu halten. Die Direktion soll Ihnen ein anderes Zimmer geben. Dieses hier wird als Tatort versiegelt.“
Bentje legte dem blassen Mann die Hand auf die Schulter. „Leider können wir Ihnen eine Befragung nicht ersparen. Brauchen Sie noch einen Moment oder können wir loslegen?“
„Bringen wir’s hinter uns.“
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ISBN: 978-3-86222-534-7
E-Book: 15,99

