Bayerische Geschichten 14/2024: Auf dem Münchner Jakobsweg

Liebe Leserinnen und Leser,

gibt es heutzutage noch echte Tabuthemen? Sterben und Tod dürften für die meisten dazugehören. Und das, obwohl früher oder später jeder von uns damit konfrontiert wird.
Als der Vater der Autorin Petra Bartoli Eckert verstarb, hat auch sie der Tod kalt erwischt. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich mit Endlichkeit und Abschiednehmen auseinanderzusetzen, und sie beschloss: Wir müssen reden! Über das Sterben, den Tod und unseren Umgang damit. Dafür hat sie sich zu Fuß auf den Weg gemacht, ist auf dem Münchner Jakobsweg bis nach St. Gallen gewandert und dabei mit Menschen ins Gespräch gekommen, die ihre ganz eigene Beziehung zum Sterben haben: ein Hospizbegleiter, eine Trauerrednerin, eine OP-Schwester, der Kabarettist Gerhard Polt und viele mehr.
Genießen Sie die Leseprobe: Auf der 10. Etappe ihres Wegs trifft Petra Bartoli y Eckert in Lindau am Bodensee den Sargmaler Alfred Opiolka.

Leseprobe:

„Ich komme aus der Wandmalerei. Als gelernter Kunstmaler gestalte ich Wände und Fassaden“, erzählt er. „Vor fast 20 Jahren hatte ich einen Auftrag von einer Bestatterin aus Wiesbaden. Ich sollte dort die Räume ihres Unternehmens gestalten. Und da musste ich mich mit dem Thema Abschied auseinandersetzen. Denn in Räumen von Bestattern, wo jemand aufgebahrt wird und wo ein Abschied stattfindet, da … ja, da wird intensiv gelebt. Ich finde, da braucht es ein großes Feingefühl, um solche besonderen Räume zu gestalten.
Mit einem Mal war ich mitten in der Materie. Mir ist da auch aufgefallen, wie lieblos das Thema Tod und Bestattung in meiner Umgebung behandelt wird. Das wollte ich ändern. Deshalb habe ich angefangen, meinen ersten Sarg zu bemalen. Seitdem mache ich das.“
Nach dem ersten Sarg kam der zweite. Und dann wurden es immer mehr. Alfred sammelte Erfahrungen: Welche Sargform aus welchem Holz eignet sich am besten zum Bemalen? Wo konnte er Sargrohlinge beziehen? Als er schließlich mehrere Exemplare fertiggestellt hatte, präsentierte er sie im Rahmen einer Kunstausstellung in der Nähe von Kempten.
„Vor der Ausstellung musste ich ein Formular ausfüllen, was von mir zu sehen sein wird. Da habe ich geschrieben: ‚bemalte Objekte‘. Weil ich dachte, dass ich die Veranstalter verschrecke wenn ich ‚Särge‘ schreibe. Die Ausstellung fand draußen an verschiedenen Orten statt. Ich habe für meine ‚Objekte‘ eine Waldlichtung ausgesucht. Dort habe ich meine fünf oder sechs bemalten Schreine platziert.
Die Resonanz der Besucher und Besucherinnen war interessant: Einige kamen, sahen die Särge und haben geweint. Die waren zutiefst berührt. Dann gab es noch andere, eine kleine Gruppe junger Männer. Die wurde wütend und aggressiv. Wenn mein Bruder nicht dazwischen gegangen wäre, hätten die mich verprügelt. Was auch erstaunlich war: Obwohl die Presse vor Ort war und obwohl meine Särge in aller Munde waren, hat niemand über sie berichtet. Ich glaube, die waren sich alle nicht sicher, ob das nun pietätlos war, was ich da machte. Oder ob es eine Provokation oder vielleicht doch ganz ernst gemeint war.“
Alfred schmunzelt. „Das, was ich tue, ist für viele fremd. Aber langsam merke ich, dass die Menschen doch offener werden.“
Der Künstler lebt für und von der Malerei – und dem Gestalten von Särgen und Urnen. Es sind ja auch nicht einfach bemalte Schreine. Es ist ein Prozess. Gelegentlich – wenn es eilt, weil gerade jemand gestorben ist – verkauft Alfred auch Särge oder Urnen, die er schon vorbereitet und als Ausstellungsstücke hier im Laden hat. Aber in der Regel kommen Menschen zu ihm, die ein ganz individuelles Objekt für sich oder für jemand Nahestehenden möchten.
„Normalerweise bemale ich Gefäße auf Wunsch. Das mache ich so persönlich, wie es geht“, erzählt er. Seine Mutter bekam einen roten Sarg, bemalt mit Ringelblumen, aus denen sie früher so gerne Salben hergestellt hat. Einer Schneiderin hat der Kunstmaler eine Urne gestaltet, aus der eine übergroße goldene Nadel ragt und die von einem zarten weißen Tuch umhüllt ist: ein Symbol dafür, dass es ihre liebste Arbeit war, Bräute einzukleiden.
„Ich nehme mir Zeit, um mir von den Menschen erzählen zu lassen, was ihnen wichtig ist, was sie ausmacht und beschäftigt. Das versuche ich dann künstlerisch umzusetzen.
Das hier ist zum Beispiel eine Champagnerurne“, sagt Alfred, während er aufsteht und ein wundervoll bemaltes hölzernes Kästchen holt. „In der Urne …“ Er hebt den Deckel an und gibt den Boden mit drei Vertiefungen frei. „… stehen eine Flasche Champagner und Gläser. Ein Ehepaar hatte sich vor einiger Zeit je eine bemalte Urne bestellt. Der Mann meinte: ‚Meine liefern Sie mir bitte mit einer Flasche Champagner und zwei Gläsern. Denn wenn ich vor meiner Frau sterbe, möchte ich, dass sie und unser Sohn erst einmal auf uns anstoßen.‘
Die Idee habe ich aufgegriffen und seitdem habe ich die Champagnerurne in meinem Sortiment. Ich gebe meinen Kunden so mit auf den Weg: Nimm dir – am besten mehrmals im Jahr – Zeit, lade liebe Menschen ein, öffne den Champagner, sei dankbar für das, was da ist, und trinke auf das Leben. Und stelle anschließend eine neue Flasche in die Urne – mit der Zuversicht, dass auch das nächste Mal du die Flasche wieder öffnen wirst.“