Bayerische Geschichten 25/2022: Eine humorige Expedition in den Bayerischen Wald

Liebe Leserinnen und Leser,

mit unvergleichlichem Humor entführt Sie „Waidler, Wölfe, Sensationen“ in eine der exotischsten Regionen der Nordhalbkugel: den Bayerischen Wald. Die literarische Forschungsreise spürt dem Wesen der Eingeborenen nach, erkundet Lebensraum, Sprache und Paarungsverhalten der Waidler sowie den Ursprung ihres gestörten Verhältnisses zu schlecht eingeschenktem Bier. Vom Grenzpolizisten über die Filmemacherin zum Brettlspieler: Einheimische plaudern aus dem Nähkästchen. Trenk der Pandur trifft auf den Mühlhiasl, der Lusen auf Reinhold Messner, Freyung-for-Future auf den bösen Wolf. Sonst noch dabei: skurrile Geschichten, Fakten, Mythen und herzzerreißende Oden an die Heimat. Ein Charaktergemälde des Bayerischen Walds – literarisch, historisch, ganz und gar nicht touristisch, dafür in jeder Hinsicht einzigartig.

 

Leseprobe:

LETZTE TANKSTELLE VOR DEM BAYERISCHEN WALD
Es ist kalt. Schneegestöber. Nicht geräumt. Die Scheibenwischer eingefroren. Das Schild „Letzte Tankstelle vor dem Bayerischen Wald in zwanzig Metern“ schleicht in besorgniserregender Gemächlichkeit an mir vorbei. Ich gehorche und tanke voll. Atme sieben Mal tief durch die Nase ein und durch locker geschlossene Lippen aus. Eine Übung, die mir mein Online-Psychotherapeut zur situativen Stressbewältigung ans Herz gelegt hat. Trommle wuchtig mit den Fäusten gegen die Brust. Es gibt kein Zurück. Wie werden die Ureinwohner auf mich reagieren? Werden sie mich trotz meines aufrechten Gangs als einen der Ihren erkennen? Als Heimkehrer, als verlorenen Sohn. Ein Dutzend Plastiktüten mit Glasperlen aus dem TEDiMarkt liegen im Kofferraum. Nur für den Notfall. Der forschungsreisende Brite Percy Fawcett verschwand 1925 bei einer ähnlichen Expedition spurlos im brasilianischen Dschungel. Menschenfresser.

VOM WOID DAHOAM
Das herzzerreißende und zu Tränen rührende Volkslied „Mia san vom Woid dahoam“ darf als Nationalhymne des Bayerischen Waldes bezeichnet werden. Der niederbayerische Komponist und Liedtexter Ferdinand Neumeier soll es im Jahre 1938 erdichtet haben. Welcher Gedanke könnte erhebender für den Waidler sein als die Vorstellung, dass ein anderer echter Bayerwäldler nur ganz fest in sein Herz hineinhorchen musste, um den ergreifenden Text und die wundervolle Melodie herauspochen zu hören? Lassen wir ihnen bzw. uns – denn auch ich wurde in diesem herrlichen Landstrich gezeugt, ausgetragen, geboren und aufgezogen – diesen Glauben. Der Glaube ist etwas Schönes, wenn man ihn braucht. Die Menschen hier hatten lange Zeit nicht viel mehr als ihren Glauben, weshalb die Grenzregion zu Tschechien und Österreich als Armenhaus Deutschlands galt. Ihnen blieb keine Wahl: Sie mussten stehlen, lügen, schmuggeln und morden, um über die Runden zu kommen. Vor diesem prekären gesellschaftlichen Hintergrund überrascht es nicht, dass es sich auch bei „Mia san vom Woid dahoam“ um Diebesgut handelt. Der Originaltext „Im Wald draußt ist’s schön“ stammt aus der Feder des Wiener Schrammelmusikers Karl Maria Jäger. Aber wo kein Richter, da kein Henker. Außerdem war Karl Maria bloß ein Österreicher. Und die haben beileibe selbst genug Dreck am Stecken. Die brauchen uns also gar nicht blöd kommen mit Rückforderungen und GEMA Rechten. Wir lassen ihnen den Gabalier und sie uns den Jäger/Neumeier. Ein guter Deal. Eine Win-win-Situation, wenigstens aus unserer Sicht. […]