Münchner Geschichte(n), 24/2014: Der Hohe neben dem Niederen

Ansicht eines Grabfeldes auf dem Waldfriedhof, Aufnahme von 1915
Ansicht eines Grabfeldes auf dem Waldfriedhof, Aufnahme von 1915

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Hier sitzt der Reiche bei dem Armen, der Hohe neben dem Niederen; und alle Standesunterschiede verschwinden bei der beschaulichen Ruhe, die über allem liegt…“ Diese Zeilen schrieb Lena Christ nicht über den Münchner Waldfriedhof, sondern über das bayerische Phänomen Biergarten. Und doch kann der Waldfriedhof ebenfalls für die Aufhebung aller Standesunterschiede stehen und ist überdies eng mit dem Namen der unglücklichsten aller bayerischen Schriftstellerinnen verbunden: Am 30. Juni 1920 fuhr Lena Christ, krank, verzweifelt und in große finanzielle Not geraten, mit der Trambahn zum Waldfriedhof und beging dort Selbstmord, nur wenige Meter von dem Grab entfernt, in dem sie später bestattet wurde.

Festgäste bei der Eröffnungsfeier am Eingang zum Waldfriedhof, Aufnahme von 1907
Festgäste bei der Eröffnungsfeier am Eingang zum Waldfriedhof, Aufnahme von 1907

Das Konzept für den Friedhof, auf dem erstmals Tote aller Standesklassen nebeneinander bestattet wurden, auf dem also der Reiche neben dem Armen, der Hohe neben dem Niederen liegt, wurde vom damals führenden Friedhofsarchitekten und Stadtbaurat Professor Hans Grässel entwickelt. Der Münchner Waldfriedhof war der erste seiner Art in Deutschland: ein Friedhof ohne die Strenge geometrischer Formen inmitten der Natur. In München mussten wegen hygienischer Auflagen Ende des 19. Jahrhunderts die innerstädtischen Friedhöfe geschlossen werden. 1905 begannen deshalb die Arbeiten im ehemaligen Hochwaldforst von Schloss Fürstenried weit vor den Toren der Stadt. Die hainartigen Gräberfelder wurden in dem bereits durch Holznutzung gelichteten Fichtenwald angelegt. 1907 war der alte Teil des Waldfriedhofs mit 35.000 Grabstätten fertiggestellt.

Ausgrabung von Bombenteilen in der Nähe des Waldfriedhofs durch Angehörige des KZ Dachau, Aufnahme vom Dezember 1942
Ausgrabung von Bombenteilen in der Nähe des Waldfriedhofs durch Angehörige des KZ Dachau, Aufnahme vom Dezember 1942

Der Planer Hans Grässel brach mit allen Konventionen: Er legte geschwungene Wege auf dem bewaldeten Areal an und entwarf Sitzgelegenheiten, Brunnen und Grabdenkmäler, die sich harmonisch in den Landschaftspark einfügten. Für die Grabbepflanzung empfahl er Moose, Farne, Buchs, Efeu und Blumen. Gebäude und Gräber wurden kunstvoll verstreut zwischen gepflanzten Baumgruppen errichtet. Heute befinden sich auf dem Waldfriedhof insgesamt 64.500 Grabstätten auf einer Fläche von 162 Hektar. Lena Christ ist nur eine von vielen prominenten Persönlichkeiten, die auf dem Waldfriedhof ihre letzte Ruhestätte fanden: Auch der Friedhofsarchitekt Grässel, Alfons Goppel, Werner Heisenberg, Frank Wedekind und Max Reger sind hier bestattet.

Der Waldfriedhof als der größte Friedhof in München und der zweitgrößte in Deutschland ist bis heute ortsbildprägend für den Münchner Stadtteil Hadern. Die Historikerin Susanne Herleth-Krentz beleuchtet in dem Buch „Hadern – Zeitreise ins alte München“ die Geschichte Haderns von seinen Anfängen bis ins 20. Jahrhundert anhand von historischen Aufnahmen aus den umfangreichen Fotosammlungen des Münchner Stadtarchivs.