Bayerische Geschichte(n), 7/2018: Vom Zauber des Verfalls

Liebe Leserin, lieber Leser,

wer mit offenen Augen übers Land fährt, kann sie in vielen bayerischen Ortschaften finden: verlassene historische Bauten. Ob ehemalige Bauernhöfe, Wirtschaftsgebäude, Bürger- oder Handwerkshäuser – ihr endgültiges Verschwinden ist nur noch eine Frage der Zeit. Die Architektin und Zeichnerin Stefania Peter hat 35 dieser Bauwerke für ihr Projekt „Das öde Haus“ porträtiert. Alle sind Teil unseres unwiederbringlichen Kulturerbes und offenbaren selbst in den verschiedensten Stadien des Verfalls noch ihre einstige architektonische Qualität. Die besondere Ästhetik von Bau und Zerstörung tritt in den fokussierten, mit feinstem Strich ausgeführten Zeichnungen deutlich hervor.

Handwerkerhaus, Marquartstein: Das um die Mitte des 19. Jahrhunderts errichtete, giebelständige Handwerker- und Kleinbauernhaus ist für den Chiemgau typisch. Wohl wegen der beengten Lage, eingeklemmt zwischen Straße und ansteigendem Hang, wurde die zweigeschossige Werkstatt mit eigenem kleinerem Giebel seitlich an das Haupthaus angebaut. Das Anwesen steht bereits seit Längerem leer, der bauliche Zustand verschlechtert sich zunehmend.

Handwerkerhaus, München-Obergiesing: Das denkmalgeschützte sogenannte „Uhrmacherhäusl“ ist zu trauriger Berühmtheit gelangt. 2017 wurde es rechtswidrig abgebrochen. Das Gebäude war als Einzeldenkmal Teil des Ensembles „Feldmüllersiedlung“, einer frühen Arbeitersiedlung aus eingeschossigen Häuserzeilen mit rückwärtigen kleinen Gärten, die ab ca. 1830 errichtet wurde. Sie ist ein bedeutendes Zeugnis frühen sozialen Städtebaus und kleinbürgerlicher Lebens- und Arbeitswelt. Dank des starken Engagements vieler Giesinger Bürger erregte der Fall des „Uhrmacherhäusls“ großes mediales Interesse. Die Reste des Gebäudes wurden, soweit es noch möglich war, gesichert. Ob und wie ein Wiederaufbau gelingen kann, hängt nun von Gerichts- und Behördenentscheidungen ab.

Brechelbad, Gemeinde Wonneberg: Brechelbäder dienten, neben der Trocknung von Flachs, auch als Schwitzbad, ähnlich einer Sauna. Wegen der latenten Brandgefahr wurden sie entfernt von den Hofstellen errichtet. Dieses seltene zweiräumige Brechelbad aus dem 19. Jahrhundert zeigt im Inneren Brandschäden und ist insgesamt in einem sehr gefährdeten baulichen Zustand.