Bayerische Geschichten 30/2022: Am Wasser gebaut

Liebe Leserin, lieber Leser,

Untergiesing, 1854 nach München eingemeindet, blickt auf eine lange Geschichte zurück, die in diesem Band anhand historischer Fotos und Dokumente aufbereitet wird. Die Eingemeindung löste einen Entwicklungsschub aus, durch den sich der Stadtteil infrastrukturell der Großstadt München anpasste. So wurde beispielsweise 1886 die Heilig-Kreuz-Kirche eingeweiht, die auch heute noch das Stadtbild prägt. Der Stadtteilhistoriker Dr. Willibald Karl, ehemaliges Vorstandsmitglied der „Freunde Giesings e.V.“, rekonstruiert die Entwicklung Untergiesings in den letzten zwei Jahrhunderten – vom Dorf zur Vorstadt und schließlich zu einem Stadtteil Münchens.

Vom Männerfreibad zum Schyrenbad – mit der sprichwörtlichen Uhr von der „Giesinger Heiwaag´“.
(Foto: Motiv-Fundus Schwarz)

 

Seine geographische Lage in der Isarniederung verbindet Untergiesing eng mit dem Wasser – hierin liegen Möglichkeit und Risiko zugleich.
Da unregulierter Wasserbau, Starkregen und Schneeschmelze zu Abschwemmungen von Teilen der östlichen Isarau und Einbrüchen des Steilufers führte, wurde im 18. Jahrhundert eine großumfängliche Flussregulierung beschlossen. Nach einem Rückschlag durch den Einsturz der Münchner Hauptbrücke unternahm Stadtbaurat Franz Muffat wesentliche Schritte für eine Isarregulierung. Dadurch entstand am westlichen Isarufer mit den Flaucheranlagen ein beliebtes Naherholungsgebiet und am östlichen Ufer die Frühlingsanlagen, welche heute die Stadtgärtnerei beheimaten. Auch das 1844 am Freibadbächl neben der Isar entstandene ehemalige Männerfreibad (das älteste Freibad Münchens) fiel einem Hochwasser zum Opfer und wurde erst Jahrzehnte später als „Schyrenbad“ wiedereröffnet – nun durch ein Wehr und Holzplanken geschützt.

Bäckermühle (um 1985) während des Baus der Candid-Auffahrt zum Stadion an der Grünwalder Straße. Einige Jahre später wurde die Mühle abgerissen.
(Foto: Verein Freunde Giesings e.V.)

Dem neuen Giesing sieht man seine über 1000-jährige Mühlentradition nicht mehr an. Der Stadtteil ist direkt an den heute großteils kanalisierten Auer Mühlbach gebaut. Das Wasser dieses Stadtbachs wurde mit Wehren aus der Isar abgeleitet, von Hangquellen ergänzt und seit jeder durch Mühlen genutzt. Die älteste schriftliche Überlieferung geht auf das Jahr 957 zurück und beschreibt die Schenkung der „Bäckermühle“ von einem Adeligen an den Freisinger Bischof. Die ungünstige Verkehrslage, der Bau des Mittleren Rings über den Candidberg und der Wandel hin zu ausgelagerten Großmühlen bedeuteten im späten 20. Jahrhundert jedoch ihr „Aus“. Sie wurde bis auf das Turbinenhaus abgerissen, das noch heute Strom für das städtische Stromnetz produziert. Erst im Jahr 2006 schloss die letzte Mühle am Auer Mühlbach, nachdem sie über 140 Jahre lang für die Giesinger Bürger Getreide vermahlen und damit die Grundlage für „das tägliche Brot“ produziert hatte.

Der Giesinger Berg mit der alte Heilig-Kreuz-Kirche von der Mühlbachstraße aus gesehen. Darunter rechts der alte Loherwirt. Links davon das Pfründtner-Haus. Radierung um 1940.
(Foto: Verein Freunde Giesings e.V.)

Neben der Getreidemühle an der Westseite des Mühlbachs, gab es östlich davon auch eine Sägmühle. Vom Wehr oberhalb von Harlaching trifteten alle Gewerbebetriebe entlang dem Mühlbach das Nutzholz in schmalen Flößen zu sechs Stämmen bis zur Giesinger Mühle, wo sie an der heute noch sichtbaren „Floßausreit“ angelandet und aufgelöst wurden. Einzeln trieben dann die Stämme in flottem Tempo – 10 Kubikmeter Wasser pro Sekunde ist die Fließgeschwindigkeit! – zu den Gewerbebetrieben bachabwärts, die sie bestellt hatten und die „Lieferung“ erwarteten. Dass diese Nutzungsform für die Holzbefestigung der Bachufer nicht eben schonend war, lässt sich denken.