Bayerische Geschichte(n), 28/2017: Stille Orte in München

Das Altarbild von Hans von Aachen zeigt neben dem gekreuzigten Christus Maria und den Apostel Johannes (Foto: Bianca Herma Schlömer).

Liebe Leserin, lieber Leser,

nur wenige Schritte von Münchens bekannter Einkaufsmeile, der geschäftigen Neuhauser Straße entfernt, verbirgt sich ein ganz besonderer Ort der Stille und Einkehr, den wohl nur die wenigsten Münchner schon einmal betreten haben: die Kreuzkapelle der Jesuitenkirche St. Michael. Ihr Eingang befindet sich in der Ettstraße, östlich des Chores der zwischen 1583 und 1597 entstandenen Kirche und gegenüber dem Polizeipräsidium. Hat man das von einer Säulen-Ädikula gerahmte Portal durchschritten und die schweren Türen hinter sich geschlossen, dringt kaum noch ein Laut von der Straße herein. Dominiert wird der Raum von dem Hochaltargemälde des Künstlers Hans von Aachen, das eine bewegende Kreuzigungsszene darstellt. Neben dem Gemälde beherbergt die Kapelle zudem eine große Anzahl von kostbar gefassten Reliquien und galt damit als heiligster Ort innerhalb der St.-Michaels-Kirche.

Blick in die Sakristei der Matthäuskirche (Foto: Bianca Herma Schlömer).

Weniger prunkvoll, aber ebenso einzigartig zeigt sich die „Sakristeikapelle“ der evangelisch-lutherischen Bischofskirche St. Matthäus am Sendlinger Tor: Mit dem Parkettboden und der Holzdecke, dem beigen Teppich und den Filzauflagen auf den Holzstühlen und Bänken ist dieser Ort der Stille schlicht und behaglich. Hier werden Frühgottesdienste, Andachten und Taufen von Erwachsenen gefeiert. Das reformatorische Prinzip des „Priestertums aller Gläubigen“ wird hier, wie auch im Zentralbau, der ebenfalls keine Trennung von Priester- und Laienraum kennt, gelebt. Das „Bodwannerl“ oder „Luthers Achterbahn“, wie die alten Münchner die Matthäuskirche mit ihrem spröden architektonischen Charme liebevoll nennen, entstand in den Jahren 1953 bis 1955 nach Plänen von Gustav Gsaenger und galt zur damaligen Zeit als herausragende bauliche Leistung. Der Bau wurde als Ersatz für die frühere Matthäuskirche in der Sonnenstraße, das erste protestantische Gotteshaus Münchens, errichtet, das 1938 auf Befehl Adolf Hitlers abgerissen worden war.

Die Hackerbrücke ist bei Sonnenuntergang ein beliebter Treffpunkt (Foto: Claudia Dörner).

Ruhe und Erholung in Kirchen zu suchen, ist nicht ungewöhnlich. Aber auch mitten im größten Großstadttrubel ergeben sich oft überraschende Möglichkeiten, dem Alltag den Rücken zu kehren und die Gedanken auf die Reise zu schicken. Ein solcher Ort ist für viele jüngere Münchner die Hackerbrücke: Hoch über den Bahngleisen sitzen sie hier im Eisengestänge der Brücke, unterhalten sich oder betrachten den Sonnenuntergang. Dabei lassen sie sich weder von den vorbeifahrenden Autos noch vom Rattern der Züge stören. Die Hackerbrücke – benannt nach der Brauerei Hacker-Pschorr – spannt sich seit dem Jahr 1890 über die Gleise und ist damit ein Kind der europäischen Industrialisierung, der großen Zeit der Eisenbahn- und Brückenbauten. Sie ist eine der wenigen noch erhaltenen schmiedeeisernen Bogenbrücken des 19. Jahrhunderts in Deutschland und steht unter Denkmalschutz.

Ein steinerner Löwe, eine Prachttreppe, eine Gedenktafel für einen Widerstandskämpfer – Details, die im hektischen Münchner Stadtleben kaum wahrgenommen werden. Das Evangelische Bildungswerk hat es sich mit dem Projekt „München mit anderen Augen sehen“ zum Ziel gemacht, den Menschen die Augen für diese kleinen Besonderheiten im Stadtbild zu öffnen. In 23 Stadtteilspaziergängen soll ein anderer, bewusster Blick auf Altbekanntes oder längst Vergessenes ermöglicht werden.