Bayerische Geschichte(n), 23/2018: Emil Kneiß – ein Künstler am Puls der Zeit

Die Kellnerinnenparade auf einer Postkarte aus dem Jahr 1911 (Bild: Hermann Kurz)

Liebe Leserin, lieber Leser,

zu seinen Lebzeiten machte sich der Künstler Emil Kneiß vor allem mit dekorativer Malerei für Innenräume und Außenfassaden von Gaststätten, Schaubuden und Velodromen einen Namen. Eines seiner bekanntesten Werke ist mit Sicherheit die „Kellnerinnenparade“, die noch heute den Turm des „Winzerer Fähndls“ auf dem Münchner Oktoberfest ziert. Dabei galt sein eigentliches Interesse der „Mobilität“, die sich Ende des 19. Jahrhunderts durch die Weiterentwicklung des Fahrrads und die Erfindung des Automobils grundlegend änderte. Immer am Puls der Zeit verfolgte und begleitete Emil Kneiß die zahlreichen Erfindungen auf diesem Gebiet, ahnte sogar die eine oder andere (Fehl-) Entwicklung voraus und trieb die Ideen in seinen Zeichnungen humorvoll auf die Spitze.

„Abermalige Neuheit der berühmten Fulminant Cycle Co. Modell 1899: Chainleß Fatzke“, Zeichnung aus der Zeitschrift „Radfahr-Humor“ 1898/99 (Bild: Bayerische Staatsbibliothek)

Emil Kneiß war selbst ein begeisterter Radfahrer. Und das war keine Selbstverständlichkeit, konnte sich das Fahrrad doch erst ab Mitte der 1890er Jahre als Individualverkehrsmittel der breiten Masse durchsetzen. Bis dahin waren es vor allem die jungen Herren aus begütertem Elternhaus, später auch die Studenten, die das Radfahren für sich entdeckten. Es war also eher ungewöhnlich, dass Kneiß, der Sohn einfacher Schauspielereheleute, bereits um 1892 eine „Fahrkarte“ besaß, eine Erlaubnis, mit dem Velociped Nr. 1472 öffentliche Straßen zu befahren. Die Nöte und Eitelkeiten der Radfahrer waren ihm also sehr wohl vertraut und so war die 1887 erstmals erschienene Zeitschrift „Radfahr-Humor“ das perfekte Medium für seine Karikaturen, in denen nicht nur missgünstige Polizisten und schlechte Straßenverhältnisse den Velozipedisten das Leben schwer machten.

Der Andrang der „Sommerfrischler“ bringt den Förster dazu, mitsamt Frau und Kindern vorübergehend in die Stadt zu ziehen: „Wohin Herr Förster?“ „Nach der Stadt in d’Sommerfrisch.“ (Bild: Bayerische Staatsbibliothek).

Um die Jahrhundertwende begann der unaufhaltsame Siegeszug des Automobils. Auch Emil Kneiß wurde von der Begeisterung für dieses neue Verkehrsmittel voll erfasst, obwohl er selbst zeitlebens Motorrad fuhr und ansonsten lediglich als Beifahrer in Erscheinung trat. Aufgrund seines geselligen und unterhaltsamen Wesens kam er schnell mit diversen Autobesitzern in Kontakt und war im Jahr 1900 sogar Gründungsmitglied des „Allgemeinen Schnauferl-Clubs“ für Automobilisten – „Schnauferl“ war der süddeutsche Begriff für das Auto. Emil Kneiß sah aber durchaus auch die negativen Folgen des zunehmenden Automobilverkehrs, so zum Beispiel die Luftverschmutzung, die aufgrund der starken Staubbelastung auf den nur mit Kies und Sand befestigten Straßen schon damals ein Problem darstellte.

Die Karriere des Münchner Künstlers Emil Kneiß reichte von der Prinzregentenzeit bis in die frühen Jahre der Bundesrepublik und doch ist sein Name heute in Vergessenheit geraten. Als Maler, Grafiker und Karikaturist begleitete er mit seiner Zeichenfeder die Ära der großen Erfindungen, aber auch die Krisen der Weimarer Republik und die dunklen Jahre des Nationalsozialismus. Hermann Kurz begibt sich auf die Spur des Künstlers und legt mit über 300 Bildern die erste Biografie und Werkschau zu diesem vielseitigen Münchner Original vor.