Bayerische Geschichte(n), 21/2015: Es war „unser München“…
Liebe Leserin, lieber Leser,
weil gläubige Juden am Sabbat außer Haus keine Gegenstände transportieren dürfen, trugen am Samstag die Nachbarskinder dem kleinen Lion und den anderen Sprößlingen der Familie Feuchtwanger den Schulranzen in die Schule. Als Gegenleistung erhielten sie ein Mittagessen im Haus der Feuchtwangers. Um die Sabbatruhe zu wahren und gleichzeitig die Produktion weiterlaufen zu lassen, soll Sigmund Feuchtwanger sogar jeden Freitag seine Margarinefabrik für eine symbolische Mark an den christlichen Geschäftsführer verkauft und am Montagmorgen zurückgekauft haben. Die Familie des Schriftstellers Lion Feuchtwanger, der seiner Heimatstadt mit dem geradezu hellsichtigen Roman „Erfolg“ ein unbequemes Denkmal setzte, lebte wie viele andere jüdische Familien mit großer Selbstverständlichkeit im München der Prinzregentenzeit. „Man ging auf die Keller und trank sein Bier zum mitgebrachten Abendessen, kraxelte auf die Berge, kannte die Museen wie die eigene Wohnstube und es war ,unser München‘ …“, schrieb Julie Meyer-Frank, eine Verwandte der Feuchtwangers.
In der orthodoxen Familie der Feuchtwangers, die am St.-Anna-Platz im Münchner Stadtteil Lehel wohnte, wurde das Judentum dennoch streng nach den Vorschriften gelebt. Die Vorfahren von Lion Feuchtwanger stammten ursprünglich aus dem mittelfränkischen Ort Feuchtwangen, nach dem sie sich später benannten. 1555 wurden sie wie alle anderen Juden durch ein Pogrom vertrieben und ließen sich in Fürth nieder. Rund drei Jahrhunderte später zogen vier der 18 Kinder des Ehepaars Seligman und Fanny Feuchtwanger ins wirtschaftlich florierende München. Zwei von ihnen, Jakob Löw und Moritz Feuchtwanger, eröffneten am Promenadeplatz die J.L. Feuchtwanger Bank. Die beiden anderen, David und Elkan Feuchtwanger, gründeten in der Grillparzerstraße in Haidhausen eine Margarinefabrik, die später Lions Vater Sigmund Feuchtwanger zusammen mit zwei Brüdern übernahm.
Ein Wohnortwechsel war für Juden allerdings auch im 19. Jahrhundert noch kein leichtes Unterfangen. Zwar gab es seit 1813 das sogenannte „Bayerische Judenedikt“, das die Juden als bayerische Staatsbürger anerkannte und ihnen unter anderem das Recht zugestand, ihre Religion öffentlich auszuüben. Die frei Wahl des Wohnorts war jedoch eingeschränkt: Das sogenannte „Matrikelgesetz“ schrieb für jeden Ort eine Höchstzahl dort ansässiger jüdischer Familien vor. Wollte sich also ein Jude in München niederlassen, so musste er warten, bis eine der insgesamt 61 Matrikelnummern durch Umzug oder Tod frei wurde. Erwartete sich die Stadt jedoch von einem Bewerber günstige Impulse für die Wirtschaft, waren Ausnahmen möglich. Auf diesem Weg bekam Jakob Löw Feuchtwanger 1850 die Erlaubnis zur „Ansässigmachung in München“.
Der neue München-Mini „Jüdisches München“ führt auf zwei verschiedenen Spaziergängen auf den Spuren jüdischen Lebens durch die Münchner Innenstadt und den Stadtteil Lehel. Ausgehend von den mittelalterlichen Anfängen stellen die erfahrenen Stadtführerinnen Elvira Bittner und Rita Steininger die jüdische Geschichte Münchens im Lauf der Jahrhunderte bis zur Verfolgung im Nationalsozialismus dar.