Bayerische Geschichten 21/2022: Ausreissergeschichte mit Herz, Hirn und Humor

Liebe Leserin, lieber Leser,

begleiten Sie uns am Montag, den 28. November ins Schwabinger Vereinsheim zur Buchpremiere von „Eine göttliche Jugend“! Autor Bernhard Blöchl liest zum ersten Mal vor Münchner Publikum aus seinem neuen Roman und wird dabei von der bekannten Singer-Songwriterin Claudia Koreck begleitet. Tickets erhalten Sie hier.

„Eine göttliche Jugend“ ist der bisher persönlichste Roman von Bernhard Blöchl. (Foto: piz)

Mit Gott beginnt und endet der neue Roman von Bernhard Blöchl – aber keineswegs so, wie Sie sich das vielleicht vorstellen. „Eine göttliche Jugend“ ist ein großes Abenteuer, eine Ausreißergeschichte mit Herz, Hirn und Humor, ein Coming-of-Age-Roman und eine nostalgische Hommage an die Neunzigerjahre: Eddie hat es nicht leicht im bayerischen Dorf am großen Wald. Als ewig Jüngster passt er nicht zu den Schulrowdies, nicht zum Fußballnachwuchs, ja, noch nicht einmal in die eigene Familie. Halt gibt allein Oma Elfie mit dem besten Rezept für Schneeguttis und der unsterblichen Liebe zu Karel-Gott-Kassetten. Und dann ist da noch Marijana, das Mädchen mit den meisten Haaren, die Eddie je auf einem Menschenkopf gesehen hat …

Nicht Eddies geliebte Madonna, aber die wohl beste Singer-Songwriterin aus Bayern begleitet Bernhard Blöchl bei seiner Buchpremiere im Schwabinger Vereinsheim: Claudia Koreck. Und vielleicht stimmt sie ja den ein oder anderen Madonna-Song auf ihrer Gitarre an? (Foto: Lena Semmelroggen)

Es sind die frühen Neunziger, als es Eddie reicht. Er haut ab. Mit dem Mofa raus aus dem konservativen Bayern, immer weiter Richtung Amerika, wo er sein großes Idol treffen will: Popstar Madonna, Eddies Sinnbild für Toleranz und Freiheit. Doch von zuhause reisen ihm dramatische Nachrichten hinterher – und Eddie muss eine folgenschwere Entscheidung treffen.

Wenn man nur als Kind schon wüsste,
Was man tun und lassen müsste,
Wär das Leben leicht.
Ob man alle weiten Ziele
Und das Schönste der Gefühle,
Irgendwann erreicht.

(Karel Gott, Einmal um die ganze Welt, 1968)

 

Leseprobe „Eine göttliche Jugend“:

In diesem Moment passierte etwas Merkwürdiges. Mein Blick schweifte von Gesicht zu Gesicht zu Gesicht zu Gesicht, als säße eine Miniaturversion meiner selbst auf der Drehscheibe, meinen engsten Verwandten zum Fraß vorgeworfen. Meine Gedanken jagten sich, machten sich übereinander her. Konnte es sein, dass hier jeder jeden hinterging? Das, was ich am Dorf am Wald so hasste, hatte sich in meiner Familie ausgebreitet, ein Geschwür aus Heuchelei und Lügen, und ich selbst war Teil davon.
Ich schwieg.
Im Nachhinein verachtete ich mich dafür, dass ich nicht zugegeben hatte, in Papas Zimmer gewesen zu sein; dass ich nicht zugegeben hatte, die Postkarten und das Geld gefunden zu haben; dass ich nicht zugegeben hatte, Ninas Schwangerschaftstest entdeckt zu haben; dass ich nicht aufgehört hatte, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Alle würden weitermachen wie bisher, nichts war geklärt, und keinen schien das zu stören. Ich hatte versagt und fühlte mich erbärmlich.
Immerhin ließ ich mich zu einem Abgang hinreißen, von dem ich, durchaus ein bisschen stolz, später auch Marijana berichtete.
Wir hatten noch nicht bezahlt, nur viel geschwiegen, als im Radio plötzlich Madonna lief. Ich erkannte „Deeper and deeper“ nach wenigen Takten, es war die erste Single vom neuen Album „Erotica“, auf dem auch der Song „Rain“ zu finden war, den ich so mochte. Im Vergleich dazu hatte „Deeper and deeper“ einen unwiderstehlichen Dance-Beat, mit klackernden Kastagnetten im Mittelteil. Ich weiß nicht, ob es der Rhythmus war oder Madonnas vertraute Stimme, dieser Lockruf zum Glück, oder ob ich meine Familie einfach nur satthatte. Jedenfalls sprang ich wie vom Donner gerührt auf, hob den Arm im Stil eines Flamenco-Künstlers und begann zu tanzen. Hüftkreisend und im Trippelschritt bewegte ich mich in Richtung Ausgang.
Kurz dachte ich an das Mountainbike, das mir Papa in Aussicht gestellt hatte, das ich aber mit dieser Aktion vergessen konnte.
Bei der Garderobe schnappte ich mir meinen Anorak, die Griffbewegung zum Haken baute ich in meine Choreografie ein. Olé!
„Madonna! Ist gut“, hörte ich die Bedienung sagen, die gerade Charlys Scherben aufkehrte. „Macht er gut. Guter Junge.“
Ich verbeugte mich und verschwand tänzelnd in die Nacht.