Bayerische Geschichte(n), 20/2012: Trunk, Tratsch und Trieb im Wirtshaus

Wie das Bier und die Brotzeit gehört zur bayerischen Gemütlichkeit auch das Musizieren.

Liebe Leserin, lieber Leser,

der „Kiem Pauli“ aus Tegernsee, der in den zwanziger Jahren in der Lederhosn, mit einem Gamsbart am Hut und einer Klappzither im Gepäck von Hof zu Hof radelte und sich alte Lieder vorsingen ließ, ist längst zur Legende geworden. In Bergen im Chiemgau war es der zwölfjährige Wastl, der dem merkwürdigen Liedersammler vorsingen durfte und der bald selber anfing, Lieder aufzuschreiben. Der Kiem Pauli und der Fanderl Wastl haben eine Renaissance der Volksmusik in Bayern eingeläutet.

Erika und Adolf Eichenseer gaben bei der Buchpräsentation zu "Heit san ma wieder kreizfidel" Wirtshauslieder zum Besten.

Was die meisten jedoch nicht wissen: Vieles von dem, was heute als „echte“ Volksmusik gilt, haben der Kiem Pauli und der Fanderl Wastl, der sich auch als „Liedermacher“ verstand, in Wirklichkeit erst erfunden. Für seine unzähligen Radiosendungen, mit denen er die „gute Volksmusik“ in den sechziger und siebziger Jahren populär machte, hat Fanderl viele Lieder selbst geschrieben. Bis heute ist das, was in Bayern gesendet und dann gesungen, getanzt, musiziert wird, ein Konstrukt, das auf überwiegend alpenländisch-österreichischem Musikgut basiert und von übereifrigen Volksmusikpflegern „verfeinert“ wurde.

"Die Dampfbrüder" spielten auf ihren Diatonischen und wussten bei der Buchpräsentation von "Gigl, geigl, no a Seidl" mit Bayerisch-Böhmischen Couplets zu gefallen.

„Das Klischee vom feinen, edlen, moralisch einwandfreien, pädagogisch wertvollen und vor allem perfekt dargebotenen Volkslied hat sich überall durchgesetzt“, sagt der ehemalige Oberpfälzer Bezirksheimatpfleger Adolf Eichenseer. Die deftigen und manchmal zotigen Lieder von Trunk, Tratsch und Trieb, die im Wirtshaus gesungen werden, aber sind von den Anhängern einer solchen „Vorführ-Folklore“ auf den Volkslied-Index gesetzt worden. Je zünftiger es am Wirtshaustisch zugeht, umso derber und urwüchsiger werden die Beiträge, weiß der passionierte Wirtshausliedersammler. Man redet, lacht, singt, musiziert – und stellt ganz überrascht fest, dass man schon wieder ausgetrunken hat. Und dann ruft man dem Wirt zu: „Gigl, geigl, no a Seidl!“