Bayerische Geschichte(n), 18/2018: Moderne zwischen Kirchturm und Bauernhaus

Am unteren Sudelfeldhang bieten die Hüttentürme der Familie von Mengershausen den Blick über das gesamte obere Leitzachtal (Fotos: Petra Steiner).

Liebe Leserin, lieber Leser,

zu dem für die Region Miesbach typischen Bautypus, dem Einfirsthof mit flach geneigtem Satteldach, haben sich in den letzten Jahren Baustile gesellt, die traditionelle Bauweisen modern interpretieren. Ein Beispiel dafür sind die „Lufthütten“ in Bayrischzell. Die Häuschen stehen abseits vom Hauptgebäude, dem Naturhotel Tannerhof, auf einem Berghang und sind so schlicht gehalten, dass sie sich nahtlos zwischen Wald und Wiese in die Landschaft integrieren. Mit den ausgeschnittenen Aufgängen und Balkonen bieten sie die Möglichkeit, die Jahreszeiten, Licht, Luft und Wasser auf besondere Weise zu entdecken und zu erleben. Ihr plastisches Volumen und die helle, vollflächige Schindelverkleidung stehen im offenen Dialog  zu den urigen „Lufthütten“ von früher, die mit der dunklen Außenverkleidung und der gewaltigen Vordachtiefe das ideale Pendant liefern.

Eingebettet in die steile Topografie genießt der Neubau in der Gemeinde Bayrischzell eine privilegierte Aussichtslage. Die Perspektive von unten bringt die Schlankheit des Hauses zur Geltung.

Beim Vorbeigehen präsentiert sich das Wochenendrefugium eines Münchner Paares als gewöhnliches Wohnhaus, das sich perfekt in die steile Topografie einfügt. Erst bei genauem Betrachten wird das lang gezogene Volumen sichtbar, das in seiner Einfachheit an ländliche Lagerstätten erinnert. Der warme Rotton der umgreifenden Lärchenholzfassade und die Hanglage minimieren den Baukörper. Die, über die gesamte Südseite gehende, zurückgesetzte Glasfassade lässt Licht und Bergkulisse ungehindert in den Raum dringen, schützt aber dennoch vor neugierigen Blicken. Naturstein prägt Küchenarbeitsplatte, Esstisch und alle Bäder. All das macht den Neubau zu einem Bauwerk, das sich zur Gegenwart bekennt und dabei zweifelsohne neben Bauten besteht, die bereits dreihundert Jahre alt sind.

 

 

 

Die Nähe zum Wasser machte die Bauaufgabe besonders interessant. Die Gebäudehülle des Bootshauses besteht aus einer schmalen naturbelassenen Lärchenholzstülpschalung.

Stein und Holz – Material, das es immer schon vor Ort gab – wurden auch beim Bau der neuen Schiffswerft am Tegernsee verwendet. Insbesondere Holz ist konstruktives Element und – auch in der Bekleidung der Außenhaut – der prägende Werkstoff des Gebäudes.  Wie selbstverständlich tragen die naturbelassene Konstruktion und die Baustoffe in ihrer materialgerechten Verwendung zur Erscheinungsform bei. Dabei ist der Neubau, eingeschoben zwischen den beiden bestehenden Bootshäusern, keineswegs ein Fremdkörper, sondern sorgt zusammen mit der einheitlichen Dachgestaltung aus grün beschichteten Blechbahnen für ein stimmiges Ganzes.

 „Gut gebaut“ beweist mit 50 Objekten im Miesbacher Land, dass und wie die Grundsätze regionaler Bautradition zeitgerecht interpretiert werden können. Die vom Architekturforum Miesbacher Kreis ausgewählten Bauten haben – so unterschiedlich sie auch sind – eines gemeinsam: die Gestaltqualität und den Respekt vor der Kulturlandschaft, in der sie errichtet wurden. Die großartigen Objektfotos der renommierten Architekturfotografin Petra Steiner verhelfen den Bauwerken nicht nur zur verdienten Strahlkraft, sondern fügen sie gleichzeitig zu einem harmonischen Bildensemble zusammen. Bereichert wird das Buch durch Beiträge von Gerhard Polt, dem Architekturkritiker Florian Aicher und ein Interview mit dem Vorsitzenden des Architekturforums Werner Pawlovsky.

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