Bayerische Geschichte(n), 16/2013: Von Winterarbeit, Kletzenbrot und Rauhnächten
Liebe Leserin, lieber Leser,
ob in der „guten alten Zeit“ oder auch in heutigen Tagen: Das Leben auf dem Land folgt seit jeher dem wechselnden Rhythmus der Jahreszeiten. Der Sommer gehört der Heu- und Getreideernte, im Herbst werden Früchte und Nüsse eingebracht – und im Winter? Zu Großmutters Zeiten nahmen allerhand Reparaturarbeiten die Männer voll in Anspruch. Werkzeug musste in Schuss gehalten werden, Säcke wollten geflickt, Gabelzinken geschnitzt, Zaumzeug gefettet und Geschirre ausgebessert werden. Während Äcker und Wiesen Winterruhe hatten, schwitzten die Knechte beim Dreschen des Getreides, beim Befüllen der Eiskeller mit Schnee und Eisschollen und vor allem bei der schweren Holzarbeit im Wald.
Kein Wunder also, dass die Frauen in der Küche für besonders kräftige Mahlzeiten sorgten. „A gscheide Buttermilchsuppn“ mit ordentlich Mehl und Milch bot morgens eine gute Grundlage für die Arbeit im Schnee. Wieder aufgewärmt wurden die Mannsbilder zu Mittag und Abend mit großen Portionen Fleisch, Kraut und Knödeln. Der Winter machte aber auch einige ganz besondere Leckereien möglich. Mit süßem Rahm, Eiern, Zucker, Vanille und gefrorenem Schnee zum Kühlen wurde unter ausdauerndem Rühren Speiseeis hergestellt und selbstverständlich sofort und mit größter Begeisterung verkostet. Für besonders glückliche Gesichter sorgte sicherlich auch die selbstgemachte Schokolade, die flüssig in kleine Modeln gegossen wurde und im kalten Schnee im Nu ihre schöne, feste Konsistenz bekam.
Diese süßen Besonderheiten im Speiseplan trugen ohne Frage zur guten Stimmung an langen, dunklen Winterabenden bei. Für die Unterhaltung sorgten die Bauernfamilien samt ihrem Gesinde auch selbst: Abends saß man um den warmen Ofen zusammen und ratschte, sang, musizierte und spielte gemeinsam. Kam dazu noch der verführerische Duft von Bratäpfeln, die gerade im Rohr schmorten, stand der gemütlichen Einstimmung aufs kommende Weihnachten sicher nichts mehr im Weg. Dabei war die Adventszeit in Küchendingen nicht nur besinnlich: Die Mettensau musste spätestens zum „Damerltag“, dem 21. Dezember, geschlachtet und Unmengen von Lebkuchen und Platzerln mussten gebacken werden. Nicht fehlen durfte auch das Kletzenbrot, geradezu der Inbegriff von Nikolaus und Advent, mit getrockneten Birnen, Zwetschgen, Rosinen, Zimt und Nelken.
In Vorbereitung auf den Heiligen Abend wurde es nach und nach ruhiger auf den Höfen. Diese stille Zeit war hauptsächlich der Kirche gewidmet und angefüllt mit besonderen Tagen wie Mariä Empfängnis, St. Luzia oder dem Thomastag, an denen gebetet oder gefastet wurde. Zwischen die Heiligenlegenden schlichen sich aber auch immer die alten regionalen Mythen und Sagen. Besonders rund um den Jahreswechsel wurden Geschichten über die Rauhnächte mit der Wilden Jagd und anderen Gespenstern erzählt. An diesen „Lostagen“ ging man nach Einbruch der Nacht lieber nicht mehr vor die Tür und vermied es auch, die zu Schabernack aufgelegten Geister durch frische Wäsche auf der Leine anzulocken. Erst zu Heilig Drei König war der Spuk offiziell überstanden: Die Gruselgestalten hatte man mit viel Scheppern und Rasseln vertrieben und gleichzeitig lautstark den Einstand des neuen Jahres gefeiert.
Das in neuer, überarbeiteter Auflage im Volk Verlag erschienene „Was hamma gessn?“ eröffnet den Blick in eine Welt, die es so nicht mehr gibt: ein Bayern, geprägt von Brauchtum und Kirche, von harter Arbeit und der Versorgung einer großen Hofgemeinschaft. Die erfahrene Autorin und Dokumentarfilmerin Steffi Kammermeier lässt diese „gute alte Zeit“ in ihrem sehr persönlichen Buch wieder aufleben, immer mit einem Auge auf dem reichen Küchenwissen früherer Tage. Begleitet werden ihre Erinnerungen von zahlreichen Fotografien und 48 deftigen Rezepten zum Nachkochen.
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