Bayerische Geschichte(n), 16/2018: Die vielen Gesichter des Viktualienmarkts

Heute verkaufen Theo Hartl und seine Mitarbeiterin Irene Heller nicht mehr nur süßen Senf: Biersenf, Bauernsenf, Senf mit Meerrettich, Mango, Maulbeere oder Chili – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt (Fotos: Ulrike Schmid und Sabine Mader/Fotos mit Geschmack).

Liebe Leserin, lieber Leser,

„der Viktualienmarkt ist einfach der schönste Arbeitsplatz der Welt!“ – jeder Standlbesitzer würde diese Aussage wohl unterstreichen. Und das, obwohl die Menschen, die hier tagein, tagaus, bei Sonne und bei Regen ihre Produkte an den Mann bringen, ganz verschieden sind. Sie alle eint die Leidenschaft für ihre Produkte, die Freude am Verkaufen und die Neugier auf ihre Kunden. So ist das auch bei Theo Hartl, der seit 2011 auf dem Markt seinen Münchner Kindl Senf verkauft. Seine Familie ist aber schon viel länger mit dem Viktualienmarkt verbunden, hat doch Hartls Großonkel schon in den 1920er Jahren hier in seiner Metzgerei das erste Glas süßen Senf verkauft. Das Rezept hatte der Onkel beim Weißwurstessen einer Wirtin abgeluchst und die Gläser zunächst an seine Kunden verschenkt. Das sprach sich rum und schließlich wollten alle Geschäfte in der Metzgerzeile, aber auch zahlreiche Gaststätten nur noch seinen Senf zur Weißwurst reichen.

Jutta Pichl an ihrem Schirm-Stand für Waldprodukte. Ihre Nichte hilft ihr an vier Tagen in der Woche beim Verkauf.

Jutta Pichl, die an ihrem Stand je nach Saison Pilze, Tannen- oder Blütenzweige im Angebot hat, kann ebenfalls auf eine lange Geschichte zurückblicken, denn sie ist ein richtiges Eigengewächs des Markts: Schon in jungen Jahren half sie ihrer Großmutter und Mutter beim Verkaufen. Wenn Jutta Pichl von früher erzählt und von den Entbehrungen nach dem Krieg, die der Grund dafür waren, dass ihre Urgroßeltern aus Pfaffenhofen in München Palmkätzchen verkaufen mussten, nimmt der Viktualienmarkt von einst Gestalt an. Damals gab es noch keinen Biergarten und die Stände auf dem sogenannten „Waldmarkt“ hatten keine festen Plätze, sondern mussten nach einem bestimmten System durchwechseln. Als Kind liebte die Marktfrau besonders die Abteilung VI mit den vielen bunten, fröhlichen Schirmen, unter denen alle Gärtner aus München, aber auch andere Selbsterzeuger ihre Pflanzen präsentierten.

Kartoffel-Kenner unter sich – Theo Lindinger und Dominik Klier mit ihrem Nachbarn Uwe Luber von „Uwes Kartoffelstand“

Die Nesthäkchen auf dem Viktualienmarkt sind die beiden Freunde Theo Lindinger und Dominik Klier. Im November 2017 übernahmen sie einen Kartoffelstand mit Potatoe-Backofen und gaben ihm den Namen „Caspar Plautz“. Den vermeintlich dritten Freund im Bunde, auf den dieser Name zurückgeht, sucht man hier allerdings vergebens. Der Namenspate ist ein österreichischer Abt, der im Jahr 1610 im Benediktinerkloster Seitenstetten als einer der ersten Europäer Kartoffeln anpflanzte. Das war zu dieser Zeit umso bemerkenswerter, da die exotische Pflanze aus Peru als gefährlich, weil aphrodisierend galt und überhaupt viel zu fremdländisch war. Etwas Neues wagen auch die beiden jungen Standlbesitzer mit ihrem Imbiss, an dem sich israelisches Shakshuka, indisches Spinat-Korma oder äthiopisches Doro-Wat zur guten, alten Ofenkartoffel gesellen. Man kann bei „Caspar Plautz“ aber nicht nur zu Mittag essen, sondern natürlich auch Kartoffeln kaufen: Von der Mecklenburger Schecke bis zur Naglerner Kipferl, von der Kalber Rotstange bis zur Linzer Rose findet man am Stand viele alte, schon fast ausgestorbene Sorten.

Der Viktualienmarkt mit seinen einladenden Ständen, den Volkssängerbrunnen und dem gemütlichen Biergarten ist das wahre Herz Münchens. Wer den Markt aber wirklich entdecken will, muss auch die Menschen, die hier ihre Waren verkaufen, kennenlernen. Für ihr Herzensprojekt haben die Food-Fotografinnen Sabine Mader und Ulrike Schmid gemeinsam mit der Autorin Katja Klementz 26 Standlbesitzer ein Jahr lang begleitet und porträtiert.