Bayerische Geschichte(n), 15/2017: Die Scharfrichter der Maxvorstadt

Hofgarten um 1930
Ein äußerst beliebter Treffpunkt der Münchner Boheme war über lange Jahre der Hofgarten, hier eine Aufnahme um 1930 (Foto: Bayerische Staatsbibliothek).

Liebe Leserin, lieber Leser,

Münchens Geschichte ist voll von kulturellen Höhepunkten. Doch kaum eine Zeit steht so sehr für neu aufblühende, opulente, kraftvolle Kunst wie die Jahre zwischen der ausgehenden bayerischen Monarchie und der Weimarer Republik. Um 1900 brach eine schier unglaubliche Flut an Kunstschaffenden über die Residenzstadt der Wittelsbacher herein. Die Herrscherfamilie befeuerte diesen Zuzug zweifellos mit ihrer liberalen Haltung und traditionell leidenschaftlich betriebenen Kunstförderung. Aus München, der geruhsamen Residenzstadt, wurde bald München, die moderne Großstadt. Und die Maxvorstadt avancierte, neben Schwabing, zum kulturellen Zentrum der wachsenden Metropole mit den angesagtesten Treffpunkten für alle Künstler und die Bewunderer ihres Schaffens.

Scharfrichter
Eine seltene Fotografie gewährt Einblick in den wohl angesagtesten Kunstsalon des noch jungen 20. Jahrhunderts: Die Elf Scharfrichter haben höchstpersönlich in ihrem kleinen Theater Platz genommen (Foto: Privatbesitz Judith Kemp).

Noch heute hält das Viertel zahlreiche Stationen der Erinnerung bereit – auch wenn man sich manchmal auf eine fast schon detektivische Spurensuche begeben muss, um sie zu entdecken. In der Türkenstraße zum Beispiel bestand von April 1901 bis Mai 1904 ein kleines Theater, das damals eine regelrechte Revolution auf die Bühne brachte: das Kabarett der Elf Scharfrichter. Das Haus Nummer 28 in der Türkenstraße verrät heute nichts mehr über das legendäre, wenn auch kurzlebige Theater, das es einst beherbergte. Im Krieg wurde das Gebäude zerstört und den Neubau ziert noch nicht einmal eine Gedenktafel. Dabei traf sich hier einst im Rückgebäude alles, was in der Münchner Boheme Rang und Namen hatte, das Theater galt sogar als interessanteste Bühne der Stadt – auch wenn diese gerade mal 20 Quadratmeter maß.

Plakat Scharfrichter
Berühmtes Plakat des Künstlers Theodor Heine für ein Programm der Scharfrichter: Mit ihrer dämonischen Erscheinung passte die bekannte Sängerin Marya Delvard perfekt ins Ensemble und auf die kleine Theaterbühne (Foto: VG Bild-Kunst).

Mit 65 Quadratmetern stand dem Publikum auch kein üppig bemessener Raum zur Verfügung, wiederholt wurde über die Platzierung „à la Hering“ geschimpft und dennoch pilgerte man in Scharen zu den Kabarettaufführungen der Scharfrichter. Gegründet wurde das Ensemble von dem Journalisten und Autor Marc Henry, einem Franzosen, der in München zehn junge Männer um sich versammelte, und gemeinsam nahm man sich das wilhelminische Deutschland kritisch, pikant und übermütig zur Brust. Zu elft blieb die Formation nicht allzu lange; zu ihren Bestzeiten zählten die Scharfrichter 47 Mitglieder, darunter auch viele Frauen. Ihrem Namen wurde die Gruppe mit ihren für damalige Zeiten scharfen Programmen gerecht, die immer wieder die Zensurbehörde auf den Plan riefen. Als besonderes Kuriosum und zur Freude ihres Publikums stellten die Scharfrichter ihre Zensurbescheide stets am „Schandpfahl“ aus, einer im Zuschauerraum platzierten Säule samt Totenschädel und Henkersbeil.

In der Maxvorstadt schlägt nicht nur das akademische Herz Münchens. Hier spürt man auch noch deutlich den Widerhall der einstigen Boheme, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Straßen des Viertels zum Beben brachte. „Topographie und Erinnerung. Erkundungen der Maxvorstadt“ spürt diesem reichen kulturellen Erbe nach. Abgerundet wird der Band durch die Texte zur Ausstellung „Die silbernen Zwanziger Jahre. Literatur, Topographie und Geschichte in München und der Maxvorstadt“.