Bayerische Geschichte(n), 12/2017: Die Sache mit der Sünd‘
Liebe Leserin, lieber Leser,
im Jahr 1841 dichtete der österreichische Schriftsteller Johann Nepomuk Vogl seine Ballade „Alpenunschuld“ mit der berühmt-berüchtigten Refrainzeile „Auf da Oalm da gibts kan Sünd!“ – der vermutlich meistzitierte Spruch über das Liebesleben auf der Alm. Augenzwinkernd wird auf den kontrollfreien Raum Alm angespielt: Was hoch oben in den Bergen geschieht, kann keine Sünde sein, schließlich ist weit und breit kein Moralapostel zu finden, der mahnend den Finger erhebt. Kein Wunder, dass rund um diesen freien Sehnsuchtsort Alm schon im frühen 19. Jahrhundert viele Mythen und Klischees entstanden, allen voran das der ebenso liebreizenden wie erotisch aufgeladenen „Schönen Sennerin“. Jung und frisch, mit roten Wangen, blauen Augen und einem ansehnlich gefüllten Dirndlmieder ausgestattet sollte sie sein. Für das echte Bild einer Sennerin im schmutzigen Arbeitsgewand, die im Regen auf der schlammigen Alm ihre Kühe zusammentreibt, war und ist in dieser Männerfantasie kein Platz.
Egal, ob als züchtige Unschuld vom Lande, exotische Schöne voll praller Weiblichkeit oder – ganz realistisch – bodenständiges, hart arbeitendes Mädel in Kittelschürze oder Stallhosen: Die junge, ledige Sennerin war der Obrigkeit früher ein Dorn im Auge. Weltliche und geistliche Herrscher bekamen Schnappatmung beim Gedanken an all die ungebundenen Mägde und Bauerntöchter, die den Sommer über vollkommen unbeaufsichtigt auf den Almen lebten. 1734 schritt der Erzbischof von Salzburg zur Tat und verhängte das erste offizielle „Sennerinnenverbot“, das „ledigen Weibspersonen“ den Zugang zur Alm verweigerte. Weitere Verbote folgten, mit kaum spürbarem Erfolg. Schon 1767 machte sich unter den Hütern von Moral und Ordnung Resignation breit, man lockerte die strikten Sperren, ersetzte sie allerdings zunächst durch eine Maßnahme, die nicht minder zum Schmunzeln anregt: das „Sennerinnen-Wappeln“.
„Wia muaß a g’wappelte Sennerin sei? – Recht fleißig in d’Kirchen gehen und zum Pfarrer hinspringa, lustige Gsangl koane mehr singa, als Brustfleck a Trumm Skapulier, an Weichbrunnkessl bei ihra Tür …“ Im Volk kursierten schnell Spottverse über das „Wappeln“ – eine Verordnung, die noch im ausgehenden 18. Jahrhundert gang und gäbe war: Wer auf die Alm wollte, musste sich zunächst von einem Geistlichen ein Dokument unterzeichnen lassen, das die moralische Eignung der Anwärterin auf die Stelle als Sennerin bezeugte. Eine Prozedur, die den Betrug geradezu herausforderte. Nur allzu oft ließ sich eine Magd von deutlich fortgeschrittenem Alter ein solches „Führungszeugnis“ ausstellen, nur um es anschließend an ein rosiges Mädchen weiterzureichen, das damit ihre Alm bezog. Nun ja – „wappeln“ bedeutet ja nicht nur so viel wie „stempeln“ oder „genehmigen“, „g’wappelt sein“ lässt sich im Bairischen auch mit „raffiniert, mit allen Wassern gewaschen sein“ übersetzen …
Die Alm als alter und neuer Sehnsuchtsort: Ein Almsommer verspricht ein Leben im Einklang mit der Natur und ungekannte Freiheit fernab des grauen Alltags. Johanna Bauer, Journalistin und selbst seit einigen Jahren als Sennerin aktiv, spürt diesem Mythos von der Freiheit in den Bergen nach. Dazu lässt sie drei Generationen von Frauen zu Wort kommen, von der „dienstältesten Sennerin Deutschlands“ bis zur modernen Aussteigerin. Eindrücklich erzählen sie von ihren Erfahrungen: von harter Arbeit, karger Unterkunft und großer Verantwortung, aber auch von der überwältigenden Schönheit der Berge und dem einmaligen Gefühl, Herrin auf der Alm zu sein. Außergewöhnliches Bildmaterial aus den privaten Fotoalben der Sennerinnen gewährt Einblick in das Leben auf der Alm.