Bayerische Geschichten 12/2024: Die verwunschene Magie der Lost Places

Liebe Leserinnen und Leser,

verlassene, dem Verfall preisgegebene Gebäude üben eine ganz besondere Faszination aus. Unwillkürlich fragt man sich, wer einst in diesen Häusern wohnte oder in diesen Fabriken arbeitete, warum diese Bauwerke aufgegeben wurden und welche Geheimnisse sich hinter ihren brüchigen Mauern verbergen. In Bayern gibt es eine Vielzahl solcher „Lost Places“, doch die einst bedeutsamen Bauten drohen in Vergessenheit zu geraten. Agnes Hörter hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, in die Vergangenheit dieser Orte einzutauchen, um ihre Geschichte zu bewahren und weiterzuerzählen. Dafür hat sie 24 Lost Places in ganz Bayern besucht und in Fotografien von einmaliger, authentischer Ästhetik festgehalten.

In dem baufälligen Gebäude finden sich an vielen Stellen noch Bierkrüge, die man zuletzt in der Porzellanmanufaktur produzierte (Fotos: Agnes Hörter).

In den 1950er Jahren erlebte das bayerische Porzellan eine Blütephase, die es auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt und beliebt machte. Die hohe Nachfrage hielt bis in die 1980er Jahre an, bevor die Konkurrenz aus Fernost mit billigeren Produkten den Markt überschwemmte. Die über einhundert Jahre alte Porzellanmanufaktur in Selb ist seit gut zwei Jahrzehnten verlassen. Gegründet wurde sie 1906 von der Familie Krug und wechselte bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zweimal den Besitzer. Ab 1946 wurden in der Fabrik vor allem Kaffee- und Teegeschirr, Hotelporzellan und Geschenkartikel hergestellt. Nachdem schon einmal 1974 Konkurs angemeldet worden war, kam 2005 die Kleinproduktion mit dem Tod des damaligen Besitzers endgültig zum Erliegen. Seitdem liegt die Porzellanmanufaktur in ihrem Dornröschenschlaf.

Einige Plätze im Hotel wirkten beinahe unversehrt, andere ließen bereits den langen Leerstand des Gebäudes deutlich erkennen.

In Bad Wiessee konnte das Hotel Lederer auf eine sehr bewegte Geschichte zurückblicken. 1934 war es – noch unter dem Namen „Hanslbauer“ – Schauplatz der Verhaftung des SA-Führers Ernst Röhm sowie weiterer SA-Männer. Während des Zweiten Weltkrieges diente es dann als Zufluchtsort für evakuierte Stadtkinder, als Krankenhaus für verletztes Luftwaffenpersonal und schließlich nach Kriegsende als Erholungslager für Amerikaner und Briten. Erst im Jahr 1951 wurde das Hotel wieder an die Familie Lederer zurückgegeben. Bis in die 1990er war das Hotel Lederer überaus beliebt und wer Geld hatte, verbrachte hier seine Kur oder Ferien. Mit der Gesundheitsreform 1995 brach jedoch der Kursektor fast vollständig zusammen, was das Schicksal des Hauses besiegelte. Sämtliche Versuche des Besitzers Josef Lederer, das Hotel zu retten, schlugen fehl. Im Herbst 2018 wurden die Gebäude schließlich abgerissen.

Die OP-Säle sind noch vollständig eingerichtet, stammen jedoch deutlich sichtbar aus den 1960er Jahren.

Im Zuge des Kalten Krieges verfügte die Bundesregierung 1963 den Bau von unterirdischen Hilfskrankenhäusern, auch Bunkerkrankenhäuser genannt, um bei eventuellen Nuklearkatastrophen die Bevölkerung besser versorgen zu können. Das Bunkerkrankenhaus in Gunzenhausen ist das einzige seiner Art, das noch nahezu vollständig und im Originalzustand erhalten ist. Es befindet sich in fünf Metern Tiefe, umfasst 4.000 Quadratmeter und sollte Platz für 430 Patienten und 150 Ärzte und Pfleger bieten. Fast alle Zimmer sind noch komplett eingerichtet und die Materiallager gut gefüllt. Bis auf die zeitweise Nutzung als Flüchtlingsunterkunft blieb das Hilfskrankenhaus unbenutzt. Seit einigen Jahren werden für Interessierte jedoch Führungen angeboten.